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2. Mai 2024

Biologische Zeitmessung

Neue Assistenzprofessorin am ISTA erforscht, wie Zellen die Zeit im Auge behalten

Der menschliche Körper hat sich an den Tag-und-Nacht-Rhythmus der Erde angepasst. Je nach Lichtverhältnissen sind Prozesse der menschlichen Zellen aktiv oder im Schlummermodus und bilden die Grundlage für Veränderungen im Tagesverlauf. Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) nimmt die neue Assistenzprofessorin Alicia Michael die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen genauer unter die Lupe. Eine winzige Grünalge dient dabei als Modell für ihre Experimente.  

Alicia Michael
Alicia Michael. Nach ihrem Postdoc in Basel startet die amerikanische Biochemikerin nun ihre eigene Forschungsgruppe am ISTA. Dabei untersucht sie, wie Zellen die Zeit wahrnehmen. © ISTA

Alicia Michael schließt ihre E-Mails. Sie durchquert ihr Büro, nimmt zwei Polaroids von einem Regal und legt sie auf einen Couchtisch. Jedes Mitglied ihres Labors wird ein Polaroid haben. Zurzeit sind es Michael und Research Technician Christopher Dunworth. In den nächsten Monaten werden jedoch noch viele weitere hinzukommen. Denn erst Anfang April startete die Biochemikerin ihre eigene Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA).

„Es ist wirklich eine hervorragende Chance, ein völlig neues Team aufzubauen“, sagt Michael mit einem Lächeln. Sie ist im US-Bundesstaat Washington aufgewachsen und hat ihren PhD in Santa Cruz, Kalifornien, absolviert. „Ich versuche in meinem Labor eine Umgebung zu schaffen, die die Stimmung an der amerikanischen Westküste widerspiegelt: einladend und fröhlich, aber auch ein bisschen albern. Für mich ist das die ideale Arbeitsatmosphäre.“

Die innere Uhr

Michael verbindet die Bereiche der Strukturbiologie und der Genomik (die Erforschung des gesamten Erbguts eines Organismus) und nimmt dabei eine winzige Alge genauer unter die Lupe. Die Rede ist von Chlamydomonas reinhardtii, einer einzelligen Alge, die etwas kleiner als ein Salzkorn ist. Liebevoll „Chlamy“ genannt, lässt sie sich im Labor leicht kultivieren; sie benötigt nur Wasser, eine Handvoll Spurenelemente und ausreichend Licht. Die winzige Alge ist außerdem ein hervorragendes Modell für die Untersuchung zirkadianer Rhythmen – der biologischen Uhr in Organismen. „Von Säugetieren über Pflanzen bis hin zu Bakterien, zirkadiane Rhythmen sind eine evolutionäre Anpassung an die ungefähr 24 Stunden Tag und Nacht der Erde“, erklärt Michael. Sie behalten die Zeit im Auge und synchronisieren biochemische Prozesse mit wechselnden Umweltbedingungen wie Licht oder Dunkelheit und bereiten den Organismus auf die täglichen Veränderungen vor.

Chlamy
Chlamydomonas reinhardtii. Links: Zwei einzellige Algen unter dem Mikroskop. © Shutterstock. Rechts: Ein „Chlamy“-Zell Untersetzer aus Keramik, den Alicia Michael zur Dekoration des Labors angefertigt hat. © Alicia Michael

Durch diese interne Uhr wird zum Beispiel das An- und Ausschalten einiger Gene gesteuert. Michael fasst zusammen: „Im Wesentlichen geht es um Proteine, sogenannte ‚Transkriptionsfaktoren‘, die die innere Uhr regulieren. Sie interagieren mit der DNA, um Gene zu bestimmten Zeiten entweder zu aktivieren oder zu deaktivieren.“ Diese enge Regulierung ist wichtig, da einige am Stoffwechsel beteiligte Gene tagsüber aktiv sein müssen, um die Energieproduktion zu unterstützen, und nachts, wenn der Organismus ruht, weniger aktiv sind. Michaels Forschungsgruppe versucht, diese DNA-Transkriptionsfaktor-Interaktionen besser zu verstehen. Eine von Michael und Kolleg:innen kürzlich entwickelte Technik kommt dabei zum Einsatz. Mit dieser neuen Auswertungsmethode können die Forschenden DNA-Transkriptionsfaktor-Komplexe in Reagenzgläsern isolieren und sie dann mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) detailliert analysieren. „Damit konnten wir bereits neue Erkenntnisse über diese Wechselwirkungen gewinnen, die von bisherigen Annahmen abweichen“, freut sich Michael.

CryoEM
Kryo-EM. Nach schnellem Einfrieren können Biomoleküle mithilfe der Kryo-EM in nahezu atomarer Auflösung sichtbar gemacht werden. Alicia Michael wird eng mit der Electron Microscopy Facility innerhalb der wissenschaftlichen Services (Scientific Service Units, SSUs) am ISTA zusammenarbeiten, die Zugang zu hochmodernen Geräten bietet. © Nadine Poncioni/ISTA

Morgenmuffel? Es liegt in den Genen

Während bei der Grünalge etwa 80 % der Gene rhythmisch reguliert sind, weisen bei Säugetieren, zu denen auch der Mensch gehört, weit weniger Gene dieses Muster auf. Dennoch haben fast alle unsere Zellen, von Kopf bis Fuß, eine innere Uhr, die verschiedene zelluläre Prozesse steuert. Michaels Labor wird daher auch Zelllinien von Menschen und Mäusen untersuchen, um unser Grundlagenwissen in diesem Bereich zu erweitern. Langfristig kann dies auch zum besseren Verständnis von Krankheiten bei Menschen beitragen. Denn zahlreiche genetische Faktoren und äußere Einflüsse, wie beispielsweise der Lebensstil oder unregelmäßiger Schlaf, können dazu führen, dass die Uhr nicht mehr richtig tickt. Das kann sich schließlich in Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, vorzeitiger Alterung oder Krebs äußern. Außerdem kann die Genetik auch darüber entscheiden, ob man ein:e Frühaufsteher:in oder eine Nachteule ist. „Der Grund dafür kann eine vererbbare Mutation in einem bestimmten zirkadianen Protein sein“, fügt Michael hinzu.

Erfolgreiche Zukunft am ISTA

Das Labor von Alicia Michael wird direkt neben denen der Pflanzenzellbiologin Xiaoqi Feng und des Biochemikers Florian Praetorius liegen. „Ich habe das große Glück, diese tollen Wissenschafter:innen, die auf ähnlichen Gebieten arbeiten, in unmittelbarer Nähe zu haben. Das ermöglicht eine Menge Interaktion, Austausch von Ideen und die Nutzung gemeinsamer Einrichtungen“, so Michael. Der expandierende Campus, das große Fachwissen am ISTA, und eben diese vielfältigen Möglichkeiten zum Austausch mit Forschenden aus verschiedenen Bereichen – das waren die Hauptgründe für Michael, sich dem Institut anzuschließen.

Ganz im Zeichen der amerikanischen Westküste nutzt sie jede Gelegenheit, sich mit der Campus-Gemeinschaft zu vernetzen. Wenn du dich dafür interessierst, wie Zellen die Zeit verfolgen, dich für Kryo-EM begeistert, neue interdisziplinäre Netzwerke suchst oder einfach nur über das Gitarrenspielen plaudern möchtest, dann sprich sie doch einfach am Campus an.



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