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22. September 2025

Geheimnisse der Löwenmäulchen

Wissenschafter:innen sammeln Löwenmaul-Blumen in Pyrenäen zur Stammbaum-Analyse

Jede Saison zieht es Forschende vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in die Pyrenäen. Ihre Mission: Löwenmaul-Blumen sammeln und deren DNA genau unter die Lupe nehmen. Eine neue Studie im Fachmagazin Molecular Ecology zeigt, wie Mutter Natur durch Farbgene zwei verschiedene Löwenmäulchen auseinanderhält – selbst wenn beide am gleichen Fleckchen Erde wachsen.

Ein hybrides Löwenmäulchen.
Ein hybrides Löwenmäulchen. Normalerweise strahlen Löwenmäuler in Magenta oder Gelb. Im Tal um Planoles in Spanien kommen diese beiden Arten zusammen und formen hybride Blumen in verschiedensten Farbkombinationen. © Daria Shipilina/ISTA

Die Pyrenäen, auf Katalanisch „Pireneus“, erstrecken sich entlang der Grenze von Frankreich und Spanien – vom Golf von Biskaya bis zum Mittelmeer. Die tiefen Täler und hohen Gipfel ziehen jedes Jahr viele Urlauber:innen an. Arka Pal, Biologe und PhD-Student in der Barton Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), besucht die Region jedoch aus einem anderen Grund.

Er ist hier, um Löwenmäulchen (lateinischer Name: Antirrhinum) zu sammeln – eine leuchtende Pflanze, die, wenn man sie zusammendrückt, einem geöffneten Löwenmaul ähnelt. In seiner neuesten Publikation hebt Pal gemeinsam mit einem internationalen Wissenschaftsteam die wichtige Rolle der Blütenfarb-Gene hervor. Diese Gene sorgen dafür, dass zwei verschiedene Löwenmäuler in mehreren Tälern in den Pyrenäen alles in allem auf Abstand bleiben, obwohl sie sich teilweise kreuzen und denselben Lebensraum besiedeln.

Löwenmäulchen sammeln

Seit 17 Jahren reisen Forschende aus der Barton Gruppe am Institute of Science and Technology (ISTA) von Klosterneuburg nach Planoles, einem spanischen Dorf auf 1.135 Metern Höhe, direkt am Río Rigat und der Grenze zu Frankreich. Von einer kleinen Hütte aus erkunden sie die atemberaubende Landschaft und machen sich auf die Suche nach Löwenmäulchen. In jeder Saison sammeln rund 20 Wissenschafter:innen über 5.000 Proben.

„Der Romantiker in mir würde sagen, wir gehen wandern“, scherzt Pal. „Aber Antirrhinum wächst am liebsten in Lebensräumen, die von Menschen gestört sind, oft an Bergstraßen. Wir ziehen also an diesen schönen Straßen in den Pyrenäen entlang und klettern sporadisch steile Hänge durch Brombeersträucher und Brennnesseln hinauf, um Löwenmäulchen zu sammeln.“

Wenn sie blühen, sind Löwenmäulchen mit ihren auffälligen gelben oder magentafarbenen Blütenblättern leicht zu erkennen. Wenn nicht, verlassen sich die Wissenschafter:innen auf die Identifizierung ihrer Laubblätter. Pal und seine Kolleg:innen dokumentieren das Wachstum der Pflanzen und deren exakte GPS-Koordinaten. Sie sammeln Blüten und Blätter zur weiteren Verarbeitung in der Hütte. Dort analysieren sie die Blütenfarbe, bestimmen den Anteil von Magenta oder Gelb und fotografieren die Blüten aus verschiedenen Perspektiven. Die Blütenblätter werden anschließend in Silikagel getrocknet, in Umschläge verpackt und zur genetischen Analyse zurück ans ISTA geschickt.

Aber was motiviert die Barton Gruppe, so viel Aufwand in die Erforschung dieser Pflanzen zu investieren? Welche tieferen Erkenntnisse liefert die Farbe eines Löwenmäulchens?

Wissenschafter:innen des ISTA dokumentieren akribisch die Farbe der gesammelten Löwenmäulchen.
Magenta, Gelb oder Hybride? Zurück in der Hütte dokumentieren die Wissenschafter:innen des ISTA akribisch die Farbe der gesammelten Löwenmäulchen. © Daria Shipilina/ISTA
Wissenschafter:innen bearbeiten die gesammelten Löwenmäulchen und bereiten sie für den Transport an den ISTA-Campus vor.
Röhrchen mit Blumen. Die Wissenschafter:innen bearbeiten die gesammelten Löwenmäulchen und bereiten sie für den Transport an den ISTA-Campus vor. © Daria Shipilina/ISTA

Hybridzonen – das Labor der Natur

Pal ist vor allem an Speziation interessiert – also wie verschiedene Unterarten aus einem gemeinsamen Vorfahren entstehen und sich im Laufe der Zeit voneinander trennen. Im Tal von Planoles treffen zwei Unterarten von Antirrhinum – die sich durch ihre leuchtend gelben (A. majus striatum) und magentafarbenen Blüten (A. majus pseudomajus) unterscheiden – zusammen und kreuzen sich auf natürliche Weise. Während der letzten Eiszeit waren die beiden Antirrhinum-Unterarten geografisch in verschiedenen Teilen der Pyrenäen isoliert. Als das Eis schmolz, breiteten sie sich höchstwahrscheinlich allmählich aus entgegengesetzten Richtungen entlang des Tals aus und bildeten eine sogenannte „Hybridzone“.

In the valley of Planoles, hybrid forms of snapdragons grow right next to each other.
Ein Tal, viele verschiedene Löwenmäulchen. Im Tal von Planoles wachsen Hybridformen von Löwenmäulchen direkt nebeneinander. © Daria Shipilina/ISTA

„Hybridzonen sind im Wesentlichen ‚natürliche Laboratorien‘, in denen man den Prozess der Artbildung und Evolution in der Natur studieren kann, indem man die Natur die Experimente für uns durchführen lässt, anstatt sie in Gewächshäusern zu kreuzen“, erklärt Pal. Die magentafarbenen und gelben Löwenmäulchen bilden einen schmalen Streifen von etwa 1 km Länge, wo sie sich kreuzen und ein Kaleidoskop von Farben hervorbringen.

Die genetische Enzyklopädie

Planoles ist nicht die einzige Hybridzone in den Pyrenäen. Eine sehr ähnliche gibt es auch 100 km weiter westlich, in der Nähe der Stadt Avellanet. Die Barton Gruppe sammelte auch dort Proben. In seiner neuesten Studie verglich Pal beide Hybridzonen, um zu verstehen, wie die Evolution sie geprägt hat. Zurück am ISTA analysierte Pal die Proben und untersuchte, ob ihre Genome identisch sind.  

„Man kann sich das Genom als eine ‚Enzyklopädie von Wörtern‘ vorstellen. In dieser Enzyklopädie gibt es Milliarden von Buchstaben, aus denen Tausende von Wörtern bestehen – unsere Gene. Doch nur wenige Schlüsselwörter sind wichtig, um Arten oder Varianten voneinander zu unterscheiden“, so Pal.

Geografische Verbreitung von magentafarbenen und gelben Löwenmäulchen.
Geografische Verbreitung von magentafarbenen und gelben Löwenmäulchen. Die Kreise sind entsprechend der Population farblich gekennzeichnet. Die Proben wurden aus zwei Hybridzonen entnommen: Avellanet (19 magentafarbene und 19 gelbe) und Planoles (18 magentafarbene und 18 gelbe). © Pal, A., D. Shipilina, A. Le Moan, et al./Molecular Ecology

„Bestäubt werden die gelben als auch die magentafarbenen Varianten von der gleichen Bienenart. Die Bienen lernen nämlich, wo sie Nektar finden können. Auf der magentafarbenen Seite besuchen sie magentafarbene Blüten, während sie auf der gelben Seite häufig gelbe Blüten aufsuchen“, fährt Pal fort. Hybride ziehen nicht so viele Bienen an, da ihnen der für das Lernen der Bienen erforderliche deutliche Farbkontrast fehlt. Sie haben dadurch eine verminderte Fitness und so auch weniger Nachkommen.

Bei Löwenmäulchen ist das entscheidende Merkmal also die Blütenfarbe. Sie zieht Bestäuber an und ist für das Überleben und die Weitergabe der Gene an die nächste Generation unerlässlich. Obwohl Löwenmäulchen viele genetische ‚Wörter‘ teilen, sind es nur einige wenige entscheidende Gene – genauer gesagt sieben –, die die Blütenfarbe bestimmen und für jede Art einzigartig bleiben. Diese Gene tragen fesselnde Namen, die an schillernde Pokémon erinnern: Rosea, Eluta, Rubia, Sulfurea, Flavia, Aurina und Cremosa.

Erwischt. Bienen bevorzugen gelbe und magentafarbene Varianten gegenüber Hybridpflanzen. © Daria Shipilina/ISTA

Farbgene übertreffen Nähe

Um diesen Datensatz zu bearbeiten, setzte Pal auf das „Whole-Genomic Sequencing“ – ein Werkzeug, das häufig zur Kartierung der DNA von Menschen und anderen Tieren verwendet wird. In diesem Fall wandte der Biologe eine neuartige Sequenzierungstechnik an, die zuvor noch nicht für Antirrhinum getestet worden war. Im Gegensatz zu gut untersuchten Organismen wie Mäusen oder Arabidopsis thaliana-Pflanzen, für die mehr Genomdaten vorliegen, glich diese groß angelegte Sequenzierung von Löwenmäulchen-Genomen einem riesigen Puzzle.

„Bei unserem Vergleich der Hybridzonen in Planoles und Avallenet, stellten wir fest, dass ihre Genome sehr unterschiedlich waren, mit jeweils einzigartigen ‚Wörter‘-Mischungen. Die sieben Gene, die die Blütenfarbe steuern, waren aber in beiden Zonen identisch“, erklärt Pal. Diese Gene sind wie konsistente Schlüsselwörter.

Spaziergang über den ISTA-Campus. Arka Pal schlendert am neuen VISTA Science Experience Center vorbei. In der ersten Ausstellung, die dort am 3. Oktober eröffnet wird, gibt es auch ein Exponat rund um die Löwenmäulchen-Forschung der Barton Gruppe des ISTA. © ISTA

Normalerweise erwartet man in Hybridzonen, dass benachbarte Pflanzen genetisch eng miteinander verwandt sind. Doch als die Forscher:innen die genetische Abstammung der Pflanzen zurückverfolgten, stellten sie fest, dass die Gene für die Blütenfarbe diesem Muster nicht folgten. Die sieben Gene in den gelben Löwenmäulchen aus der Planoles-Zone waren enger mit denen in den gelben Pflanzen aus der Avellanet-Zone verwandt. Dasselbe galt auch für die magentafarbenen Pflanzen.

Pals neue Studie zeigt, dass es trotz großer genetischer Unterschiede zwischen den Zonen eine gemeinsame Evolutionsgeschichte der Gene gibt, die die Blütenfarbe bestimmen – eine wichtige Erkenntnis.  Farbgene tragen dazu bei, dass verschiedene Löwenmäulchen auch dann unverwechselbar und erkennbar bleiben, wenn sie in derselben Umgebung wachsen und andere Gene ihres umfangreichen Genoms gemeinsam haben.

Publikation:

Pal, A., D. Shipilina, A. Le Moan, et al. 2025. Genealogical Analysis of Replicate Flower Colour Hybrid Zones in Antirrhinum. Molecular Ecology. DOI: 10.1111/mec.70067

Projektförderung:

Der ISTA Teil des Projekts wurde durch Mittel aus dem Österreichischen Wissenschaftsfond (FWF) und dem ERC Advanced Grant (Haplotype Structure 101055327) finanziert.



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