21. Juli 2022
Infiziert für die Wissenschaft
Viren spielen in der experimentellen Biologie eine wichtige Rolle als heimliche Kuriere für genetisches Material
Ein Team des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) produziert Viren in seinem Labor – nicht um böse Pläne zu verwirklichen und die Weltherrschaft zu erlangen, sondern für die Wissenschaft! In seiner Virenküche produziert das Team von Virus Services viele verschiedene Arten von Viren für die Wissenschafter:innen des Instituts, die damit genetisches Material in Zellen einschleusen, um deren Wachstum, Bewegung und Aktivität zu verfolgen.
Viren – insbesondere das Coronavirus – sind seit einiger Zeit in den Nachrichten. Während wir Viren in der Regel mit Krankheiten verbinden, nutzen Wissenschafter:innen sie als Werkzeuge in ihrer Forschung. Viren sind erstaunliche kleine Maschinen, die Dinge tun können, die sonst niemand tun kann. Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) stellt das Virus Services Team Wissenschafter:innen die virale Hilfe zur Verfügung, die sie für ihre Arbeit benötigen.
Es gibt eine Unzahl verschiedener Viren: von Erkältungsviren über HIV oder dem bekannten Coronavirus bis hin zu vielen anderen, die beim Menschen überhaupt keine Krankheiten verursachen. Unter Wissenschafter:innen ist umstritten, ob Viren eigentlich lebendig oder nur molekulare Maschinen sind. Klar ist jedoch, dass sie sehr effizient darin sind, Wirtszellen zu infizieren und sie dazu zu bringen, Viruspartikel zu produzieren. Die Größe der Partikel reicht von einigen Dutzend Nanometern – einem Millionstel Millimeter – bis zu mehreren hundert Nanometern. Die meisten sind kleiner als die kürzeste Wellenlänge des sichtbaren Lichts (violett mit etwa 380 Nanometern) und dennoch sind sie rund um den Globus enorm erfolgreich. Ihre Fähigkeiten, die über Jahrmillionen an Evolution verfeinert wurden, machen sich die Wissenschafter:innen zu Nutze, wenn sie Viren als ihre winzigen Helferlein im Labor einsetzen.
Wie man einen Virus baut
„Vereinfacht gesagt besteht ein Viruspartikel aus einer äußeren Proteinhülle, die manchmal von einer zusätzlichen Hülle aus Fetten umhüllt ist, und dem viralen Genom, das beschreibt, wie man mehr davon herstellen kann“, erklärt Flávia Leite, Virenexpertin am ISTA. „Im Labor der Virus Services verwenden wir modifizierte Viren, die nicht mehr gefährlich sind. Anstelle ihres ursprünglichen genetischen Materials tragen sie ein gewünschtes Gen in die Zellen, die sie infizieren. Dort kann es dann auch in den genetischen Code einer infizierten Zelle eingebaut werden.“ Bei unveränderten Viren würden die infizierten Zellen dann noch mehr Viren erzeugen, um sich auf andere Zellen auszubreiten. Bei Flávias Viren beschreibt das Genom Proteine, an denen die Forscher:innen interessiert sind. Auf diese Weise kann sich das Virus nicht weiter vermehren und ausbreiten, sodass es in Experimenten sicher gehandhabt werden kann.
Aber wie bringt man dieses genetische Material überhaupt in das Virus hinein? Mark Smyth, ein weiterer Experte im Virus Services Team, erklärt: „Um beispielsweise Lentiviruspartikel zu erzeugen, verwenden wir drei verschiedene Bausteine, die sogenannten Plasmide. Das sind kurze, kreisförmige DNA-Stränge. Eines enthält das genetische Material, das die Forscher:innen in die Zelle einbringen wollen und eine weitere beschreibt die Hülle des Virus. Das dritte lässt andere Proteine erzeugen, die benötigt werden, um das virale genetische Material zu reproduzieren und in die Viruspartikel zu packen. Erst wenn alle drei Plasmide in einer Wirtszelle zusammenkommen, übernehmen sie die Kontrolle und die Zelle produziert die Viruspartikel. Wir können sogar Plasmide von Forscher:innen außerhalb des ISTA bekommen und sie in unsere Viren einbauen. Es ist wie Kochen, nur mit Viren.“ Diese Vorgehensweise hat auch den Vorteil, dass das ursprüngliche und gefährliche Virus nie in seiner vollständigen Form zusammengebaut werden muss. Da nur seine Bestandteile bearbeitet werden, ist diese Methode sehr sicher.
Zellen markieren
„Wir verwenden verschiedene Arten von Viren“, erklärt Smyth. „Forscher:innen verwenden zum Beispiel Adeno-assoziierte Viren, um die Zielzellen dazu zu bringen, grün fluoreszierendes Protein (GFP) zu produzieren.“ GFP kann man unter dem Mikroskop grün leuchten sehen, wenn man es mit ultraviolettem Licht bestrahlt. Bei Adeno-assoziierte Viren wird die GFP normalerweise verwendet, um zu überprüfen, ob das Virus die Zelle erfolgreich infiziert hat. Dann kann man sehen, ob damit das gewünschte Protein erfolgreich eingeschleust wurde oder bestimmte Zellen markieren. GFP ist nicht das einzige fluoreszierende Protein. Es gibt auch Proteine, die unter ultraviolettem Licht blau, rot oder gelb leuchten.
„Das Virus fungiert als ein molekulares Werkzeug“, fügt Leite hinzu. „Damit kann man ein Gen ausschalten, um zu verstehen, welche Rolle es in der Zelle spielt, oder wir können sogar bestimmte Gene so verändern, dass wir sie nur durch Lichtblitze ein- und ausschalten können.“ Adeno-assoziierte Viren sind für Neurowissenschafter:innen besonders nützlich, weil die verschiedenen Virentypen auf unterschiedliche Arten von Gehirnzellen abzielen. Ein Typ infiziert beispielsweise bevorzugt Zellen im Hippocampus und ein anderer zielt auf Mikrogliazellen ab, die Teil des Immunsystems des Gehirns sind.
Ein weiterer Virustyp, den das Team von Virus Services herstellt, heißt Lentivirus und er enthält auch das menschliche Immunschwächevirus (HIV). „Wir verwenden dieses Virus, weil es DNA sowohl in sich teilende als auch in sich nicht teilende Zellen einschleusen kann – etwas, das andere Viren nicht können“, erklärt Leite. „Außerdem hat es die besondere Fähigkeit, die DNA, die es trägt, zu einem festen Bestandteil des Genoms der infizierten Zelle zu machen. Auf diese Weise wird die eingeschleuste DNA dann an die Nachkommen der Zelle weitergegeben, und wir können ganze Zelllinien erzeugen.“ Auch hier verwenden die Wissenschafter:innen oft Lentiviren, um die Zellen dazu zu bringen, grün fluoreszierendes Protein zusammen mit einem anderen Zielprotein zu produzieren. Am ISTA setzt die Gruppe um Sandra Siegert sie zum Beispiel ein, um Mikroglia-Immunzellen im Gehirn zu verfolgen, und die Gruppe um Michael Sixt verwendet Lentiviren, um Immunzellen zu verfolgen, die sich durch dichtes Gewebe bewegen.
Die dritte Art von Virus, die das Team von Virus Services herstellt, ist das Tollwutvirus. Während es in seiner natürlichen Form sehr gefährlich ist, kann es im Labor Neurowissenschafter:innen helfen, Verbindungen im Gehirn zu kartieren. Smyth erklärt: „Das Tollwutvirus ist sehr gut auf den Angriff auf das Nervensystem ausgerichtet. Bei richtiger Anwendung infiziert es die Neuronen in der dem Informationsfluss im Gehirn entgegengesetzten Richtung.“ Das Virus bewegt sich also vom infizierten Neuron zu den anderen Neuronen, die diesem Informationen schicken. Der Informationspfad wird dann sichtbar, indem das Virus die Neuronen dazu bringt, ein fluoreszierendes Protein zu produzieren, das die Forscher:innen dann unter dem Mikroskop sehen können. Die Neurowissenschafter:innen nutzen dieses bemerkenswerte Verhalten, um einzelne Signalwege im Gehirn zu finden.
Das erst 2019 gegründete Virus Services Team hat sich zu einem wichtigen Partner für die experimentellen Biolog:innen am ISTA entwickelt. „Es ist nicht üblich, eine solche Einrichtung im Haus zu haben, und im Raum Wien sind wir die einzige“, bemerkt Leite. „Normalerweise werden solche Arbeiten an Unternehmen ausgelagert. Da sie aber am ISTA Campus durchgeführt werden, können wir sehr eng mit den Wissenschafter:innen zusammenarbeiten. Wir können die Forscher:innen beraten, welche Viren sie verwenden sollten, und maßgeschneiderte Lösungen entwickeln, während wir gleichzeitig wertvolles Feedback von ihnen erhalten, das es uns ermöglicht, unser Angebot zu erweitern.“ Flávia Leite kann auf eine lange Karriere in der Arbeit mit Viren zurückblicken und arbeitete als Postdoc am Francis Crick Institute, bevor sie 2019 ans ISTA kam. Mark Smyth schließt gerade seine Promotion über die Evolution von Viren am Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM) ab und kam 2021 ans ISTA. Unterstützt werden sie von Rexhina Sinani, die als Virustechnikerin arbeitet.
Tierwohl
Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß der strengen in Österreich geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt. Alle tierexperimentellen Verfahren sind durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung genehmigt.