3. Oktober 2013
Platzkarten im Entwicklungsstadium
Gašper Tkačik veröffentlicht mit Nobelpreisträger Eric Wieschaus Arbeit über Positionsinformationen von Genen in Embryos
Damit ein Kopf ein Kopf und ein Schweif ein Schweif wird, müssen Zellen in einem sich entwickelnden Embryo Entscheidungen treffen und die richtige Identität annehmen, je nachdem wo sie sich im Embryo befinden. Doch wie erkennen die Zellen, wo sie sich im Embryo befinden? Diese Frage ist das Thema einer Studie, die diese Woche in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erscheint und gemeinsam von Julien Dubuis und Gašper Tkačik sowie Thomas Gregor, Nobelpreisträger Eric Wieschaus und William Bialek verfasst wurde. Die Studie ist Teil der „Inaugural Articles“ Serie und erscheint anlässlich der in diesem Frühling erfolgten Wahl von William Bialek in die National Academy of Sciences. Sie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Gašper Tkačik, jetzt Assistant Professor am IST Austria, der – betreut von Bialek – sein Doktorat in Physik an der Princeton University machte.
In einem sich entwickelnden Embryo haben Zellen keine direkte Möglichkeit, ihre physische Position zu messen; nichtsdestotrotz ist diese „Positionsinformation“ essentiell für die richtige Entwicklung. Obwohl bekannt ist, dass Positionsinformation durch das Niveau der Genexpression von Entwicklungsgenen erlangt wird, die entlang der Längsachse des Embryos exprimiert werden (in der Fruchtfliege Drosophila melanogaster Lückengene genannt), war dieses Wissen bislang rein qualitativ. Es war nicht bekannt, wie viel Positionsinformation kodiert wird, nicht einmal, wie so eine Frage mit mathematischer Genauigkeit gestellt und mit experimentellen Daten belegt werden kann. Die Forscher stellten sich die Aufgabe, die Positionsinformation mit Hilfe der Informationstheorie auf eine feste Basis zu stellen. Sie fragten sich, was das Expressionsniveau eines bestimmten Gens einer Zelle über ihre Position sagen kann, wie viel Information Lückengene transportieren – sowohl einzeln als auch in ihrem gemeinsamen Expressionsmuster – und wie viel dieser Information der Embryo tatsächlich nutzt.
Die in PNAS erschienenen Ergebnisse zeigen, dass die Muster der Lückengen-Expression genügend Information transportieren, um die Position jeder Zelle mit einer relativen Fehlerquote von nur rund einem Prozent zu spezifizieren. Das entspricht der beobachteten Genauigkeit von anschließend gebildeten Mustern und Strukturen im Embryo, wie der Kopffurche, für die die Lückengene als Input dienen. Dies zeigt quantitativ, dass die gesamte für Muster entlang der embryonalen Längsachse benötigte Information durch Lückengene kodiert werden kann. Das Expressionsmuster jedes Lückengens transportiert 2 Bit Information. Das ist mehr Information als in der Lehrbuchmeinung, der zu Folge Lückengene große AN oder AUS Expressionsdomänen definieren, die von exakten Grenzen eingefasst sind. Gemäß dieser traditionellen Meinung transportiert jedes Gen nur höchstens 1 Bit Information. Als die Forscher verglichen, wie viel Positionsinformation Lückengene transportieren und wo das theoretische Maximum liegt, fanden sie heraus, dass die Lückengene der Fruchtfliege einen erstaunlich effizienten Code für die physikalische Position bilden. Dieses Ergebnis legt eine interessante Verbindung zur Evolution nahe: Hat natürliche Selektion genetische Schaltkreise begünstigt, die im Sinn der Informationstheorie optimal gestaltet sind?