Skip to main content

18. Mai 2021

Synaptische Übertragung: Keine Einbahn-Straße

Wichtige Synapse ist ein „smarter Lehrer“ und schickt Botschaften gegen den üblichen Informationsfluss im Gehirn - Studie erschienen in Nature Communications

Als Neurowissenschaftler am Institute of Science and Technology (IST) Austria die exakten Eigenschaften von Nervenverbindungen im Gehirn analysierten, machten sie eine verblüffende Beobachtung: An einer wichtigen Verbindung, Synapse genannt, werden Nachrichten gegen den üblichen Informationsstrom gesendet. In einer Studie, soeben erschienen im Fachmagazin Nature Communications, berichten sie, dass der Botenstoff Glutamat wahrscheinlich eine Rolle bei dieser ungewöhnlichen Übertragung spielt.

Im Gehirn fließen Informationen in eine genau definierte Richtung: Chemische und elektrische Signale werden von einer Nervenzelle, einem sogenannten Neuron, zur anderen über die Synapse gesendet, vom präsynaptischen zum postsynaptischen Neuron. Nun zeigen Peter Jonas und seine Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria), dass Information auch in die entgegengesetzte Richtung wandert, und zwar an einer Schlüsselsynapse im Hippocampus, der für Lernen und Gedächtnis zuständigen Hirnregion. An der sogenannten Moosfaser-Synapse beeinflusst das postsynaptische CA3-Neuron, wie das präsynaptische Moosfaser-Neuron Signale feuert. „Wir haben zum ersten Mal gezeigt, dass retrograder Informationsfluss physiologisch relevant ist für die präsynaptische Plastizität“, sagt Yuji Okamoto, ein Postdoc in der Gruppe von Peter Jonas am IST Austria und Co-Erstautor der in Nature Communications veröffentlichten Arbeit.

Moosfaser-Synapse im Hippocampus, ein „smarter Lehrer“. Bild zur Verfügung gestellt von David Vandael und Yuji Okamoto, adaptiert von Vandael et al. Nature Protocols, in press. © IST Austria
Moosfaser-Synapse im Hippocampus, ein „smarter Lehrer“. Bild zur Verfügung gestellt von David Vandael und Yuji Okamoto, adaptiert von Vandael et al. Nature Protocols, in press. © IST Austria

Die Moosfaser-Synapse ist entscheidend für das Speichern von Information im neuronalen Netzwerk. Die Signalübertragung an dieser Synapse ist plastisch, das heißt, dass eine variable Menge des chemischen Signals, des sogenannten Neurotransmitters, in die Synapse freigesetzt wird. Um den Mechanismus der Plastizität in dieser Synapse zu verstehen, stimulierte Okamoto präzise das präsynaptische Terminal der Moosfaser-Synapse im Rattenmodell und zeichnete gleichzeitig die Reaktion des postsynaptischen Neurons auf. „Wir müssen die genauen Eigenschaften der Synapse kennen – mit den exakten Werten z.B. für ihre Leitfähigkeit – damit wir ein exaktes Modell dieser Synapse erstellen können. Mit seinen exakten Messungen ist es Yuji gelungen, diese Werte zu erhalten“, ergänzt Peter Jonas, co-korrespondierender Autor zusammen mit Postdoc David Vandael.

Smarter Lehrer reagiert auf überforderten Schüler

Unerwarteterweise fanden die Forscher heraus, dass die Plastizität im präsynaptischen Neuron vom postsynaptischen Neuron beeinflusst wird. Bisher wurde angenommen, dass die Moosfaser-Synapse eine „Lehrersynapse“ ist, die das Feuern des postsynaptischen Neurons veranlasst. „Stattdessen haben wir festgestellt, dass diese Synapse wie ein ‚smarter Lehrer‘ agiert, der den Unterricht anpasst, wenn die Schüler mit Information überladen sind. Ähnlich erkennt die präsynaptische Moosfaser, wenn das postsynaptische Neuron keine Information mehr aufnehmen kann: Wenn die Aktivität im postsynaptischen Neuron zunimmt, reduziert das präsynaptische Neuron das Ausmaß der Plastizität“, erklärt Jonas.

Dieses Ergebnis wirft die Frage auf, wie das postsynaptische Neuron die Information über seinen Aktivitätsstatus an das präsynaptische Neuron sendet. Pharmakologische Hinweise deuten auf eine Rolle von Glutamat hin, eine der Schlüsselchemikalien oder Neurotransmitter, die von Neuronen verwendet werden, um Signale an andere Zellen zu senden. Glutamat ist auch der Transmitter, der von präsynaptischen Moosfaserendigungen freigesetzt wird. Wenn der Kalziumspiegel im postsynaptischen Neuron ansteigt – ein Zeichen dafür, dass das Neuron aktiv ist – kann es Glutamat-gefüllte Vesikel in die Synapse freisetzen. Das Glutamat wandert zurück zum präsynaptischen Neuron, entgegen der üblichen Richtung des neuronalen Informationsflusses. „Diese retrograde Modulation der Plastizität hilft wahrscheinlich dabei, Information besser im nachgeschalteten Hippocampus-Netzwerk zu speichern“, sagt Jonas und fügt hinzu: „Einmal mehr haben exakte Messungen gezeigt, dass die Realität komplexer ist, als es ein vereinfachtes Modell vermuten lässt.“

David Vandael. © David Vandael, IST Austria
David Vandael.
© David Vandael, IST Austria
Yuji Okamoto. © Yuji Okamoto, IST Austria
Yuji Okamoto.
© Yuji Okamoto, IST Austria
Peter Jonas © IST Austria
Peter Jonas
© IST Austria

Publikation      

David Vandael, Yuji Okamoto & Peter Jonas. 2021. Transsynaptic modulation of presynaptic short-term plasticity in hippocampal mossy fiber synapses. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-021-23153-5

Funding information

Dieses IST Austria Projekt wurde mit Mitteln des Europäischen Forschungsrates (European Research Council, ERC) (Fördervereinbarung Nr. 692692) und dem Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (Z 312-B27, Wittgenstein Preis), beide für P.J., finanziert.

Tierwohl

Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie z. B. in silico-Modelle, stehen hierfür als Alternative zur Verfügung. Die Tiere werden gemäß der strengen in Österreich geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt.



Teilen

facebook share icon
twitter share icon
back-to-top icon
Nach Oben