22. Oktober 2015
Turbulenzen auf dem Vormarsch
IST Austria Professor Björn Hof und Kollegen erklären erstmals das Auftreten einer vollständig turbulenten Strömung
Turbulenzen beeinflussen nicht nur unser Wohlbefinden auf Flugreisen, sie spielen auch in der Natur und der Technik eine zentrale Rolle: sie bestimmen etwa, wie sich Abgase in der Atmosphäre ausbreiten, wie effizient sich Treibstoff und Luft in Verbrennungsmotoren vermischen, und sie limitieren den Flüssigkeitstransport durch Pipelines. WissenschaftlerInnen versuchen deshalb schon seit über hundert Jahren, Turbulenzen und deren Entstehung besser zu verstehen. Ein wichtiger Fortschritt ist nun der Forschungsgruppe um den Physiker Björn Hof, Professor am IST Austria, gelungen. In ihrer jüngsten Publikation, erschienen in der aktuellen Ausgabe von „Nature“, beschreibt das Team erstmals, wie sich in Rohr- und Kanalströmungen eine vollständig turbulente Strömung einstellt.
Obwohl auch schon bei niedrigeren Geschwindigkeiten Turbulenzen lokal in turbulenten Flecken auftreten können, bleibt der Großteil des Fluids unbeeinflusst und strömt geradlinig (in einer sogenannten laminaren Strömung) weiter. Bei etwas höheren Strömungsgeschwindigkeiten ändert sich dies allerdings grundlegend. Das Fluid hat nun eine höhere kinetische Energie, wodurch turbulente Flecken stabilisiert werden und unaufhaltsam anwachsen. Das hat zur Folge, dass alle laminaren Bereiche ausgelöscht werden und das gesamte Fluid verwirbelt wird. Ab diesem Moment ist die Strömung voll turbulent.
Björn Hof und Kollegen vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, der Universität Erlangen-Nürnberg sowie der University of Warwick konnten dieses Verhalten in Experimenten und hochaufgelösten Computersimulationen beobachten. Erstmalig gelang es dem Team durch ein mathematisches Modell zu belegen, welcher Zustand (also lokale oder kontinuierlich sich ausbreitende Turbulenz) bei welchen Strömungsgeschwindigkeiten auftritt. Eine entscheidende Rolle spielen hier die Fronten, die an den Grenzflächen zwischen laminaren und turbulenten Bereichen auftreten und ihre Stabilität ändern.
„Unsere Erkenntnisse zum Ursprung der Turbulenz sind ein wichtiger Ansatzpunkt, um in Zukunft auch hochgradig turbulente Strömungen besser verstehen zu können”, meint Björn Hof. Dass diese Frage nicht nur aus grundlegenden Gesichtspunkten interessant ist, lässt sich am konkreten Beispiel von Ölpipelines zeigen: für die Pumpkosten sind Milliardenbeträge nötig, die hauptsächlich durch Reibungsverluste aufgrund von Turbulenzen verursacht werden. Dazu Hof: „Eine Umwandlung in eine laminare Strömung könnte den Reibungswiderstand um ca. 90% verringern und würde damit enorme Energieeinsparungen mit sich bringen.“