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1. Dezember 2025

Wissenschaft ist wie Magie, nur echt

Zentrale Einschränkung der akustischen Levitation durch elektrische Ladung überwunden

Physiker:innen aus den Gruppen von Scott Waitukaitis und Carl Goodrich am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben eine Methode entwickelt, um Objekte akustisch schweben zu lassen und sie gleichzeitig durch Ladung physisch voneinander getrennt zu halten. Ihre Ergebnisse, die in PNAS veröffentlicht wurden, könnten in der Materialwissenschaft, Robotik und Mikrotechnik Anwendung finden.

Die Erstautorin und ISTA Doktorandin Sue Shi mit Assistenzprofessor Scott Waitukaitis im Labor.
Die Erstautorin und ISTA Doktorandin Sue Shi mit Assistenzprofessor Scott Waitukaitis im Labor. Sie überwanden den sogenannten ‚akustischen Kollaps‘, eine grundlegende Einschränkung der akustischen Levitation, indem sie eine zusätzliche Kraft ins Spiel brachten: elektrische Ladung. © ISTA

Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, die Schwerkraft zu überwinden und Objekte schweben zu lassen?

Im Jahr 2013 begann Scott Waitukaitis, heute Assistenzprofessor am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), sich für die akustische Levitation als Werkzeug zu interessieren, um diverse physikalische Phänomene zu untersuchen. Zu dieser Zeit nutzten nur wenige Forschungsgruppen diese Technik für ähnliche Zwecke. „Die akustische Levitation wurde zwar in akustischen Hologrammen und volumetrischen Displays eingesetzt, war aber im Wesentlichen auf Anwendungen ausgerichtet. Ich hatte den Eindruck, dass diese Technik für viel grundlegendere Zwecke genutzt werden könnte“, sagt er. Nachdem er seine Forschungsgruppe am ISTA gegründet hatte, begann Waitukaitis mehrere Experimente aufzubauen, die darauf basierten, Materie mit Schall zu kontrollieren.

‚Akustischer Kollaps‘ überwinden

Ein merkwürdiger Aspekt der akustischen Levitation ist, dass die Methode gut funktioniert, wenn ein einzelnes Teilchen levitiert wird. Wenn aber mehrere Teilchen in die Mischung geworfen werden, haften sie in der Luft wie Magnete aneinander. Dieser ‚akustische Kollaps‘ tritt auf, weil der von den Teilchen gestreute Schall Anziehungskräfte zwischen ihnen erzeugt. Es handelt sich dabei um eine zentrale Einschränkung der Technik.

Die ISTA Erstautorin der Studie, Sue Shi, platziert einen Partikel in die akustische Levitationsvorrichtung.
Die ISTA Erstautorin der Studie, Sue Shi, platziert einen Partikel in die akustische Levitationsvorrichtung. © ISTA

„Ursprünglich suchten wir nach einer Möglichkeit, schwebende Partikel voneinander zu trennen, damit sie Kristalle bilden – also bestimmte sich wiederholende Muster“, sagt Sue Shi, Doktorandin in der Waitukaitis Gruppe und Erstautorin der Studie. Erst später wurde den Wissenschafter:innen klar, dass es noch wichtiger war, durch die Trennung der Partikel das Problem des akustischen Kollapses zu lösen. Der Schlüssel dazu war, eine weitere Kraft hinzuzufügen, um dem Kollaps entgegenzuwirken: elektrische Ladung und Elektrostatik. „Wir können die Teilchen voneinander getrennt halten, indem wir dem Schall mit elektrostatischer Abstoßungskraft entgegenwirken“, sagt Shi.

Nachdem die Forscher:innen eine Methode entwickelt hatten, um die Teilchen aufzuladen, stellten sie fest, dass sie die Ladung so einstellen konnten, dass die Teilchen in verschiedenen Konfigurationen schwebten. Dazu gehörten vollständig getrennte und vollständig kollabierte Teilchensysteme sowie „Hybride“ dazwischen, die sowohl getrennte, als auch kollabierte Komponenten aufwiesen. Die Wissenschafter:innen konnten die Teilchen auch an der geladenen unteren Reflektorplatte der Levitationsvorrichtung abprallen lassen, um zwischen den verschiedenen Konfigurationen zu wechseln. In Zusammenarbeit mit Carl Goodrich, Assistenzprofessor am ISTA, und dem Doktoranden Maximilian Hübl entwickelten die Forscher:innen Simulationen, um alle beobachteten Konfigurationen auf der Basis eines Gleichgewichts zwischen Schallstreuung und elektrostatischen Kräften zu erklären.

Ein Partikel schwebt in der akustischen Levitationsvorrichtung.
Ein Partikel schwebt in der akustischen Levitationsvorrichtung. © ISTA

‚Verstoß‘ gegen Newtons Gesetz

Wie so oft in der Wissenschaft erwiesen sich Phänomene, die das Team nicht hätte vorhersagen können, als noch interessanter.

Einige der komplexen Verhaltensweisen, die sie beobachteten, deuteten auf das Vorhandensein „nicht-reziproker“ Wechselwirkungen hin, also Wechselwirkungen, die gegen Newtons drittes Gesetz ‚verstoßen‘. Zu den wichtigsten gehörten bestimmte Partikelanordnungen, die spontan zu rotieren begannen, oder Partikelpaare, die sich gegenseitig verfolgten. Streng genommen kann Newtons drittes Gesetz nicht verletzt werden – der zusätzliche Impuls, den die Partikel gewinnen, geht nämlich durch den Schall verloren. Obwohl frühere theoretische Arbeiten bereits vorhergesagt hatten, dass solche Effekte in akustisch schwebenden Systemen auftreten sollten, waren Beobachtungen nicht möglich, gerade weil die Partikel immer zu einem einzigen Klumpen zusammenfallen würden. „Man kann nicht untersuchen, wie einzelne Teilchen miteinander interagieren, wenn man sie nicht voneinander trennen kann“, erklärt Waitukaitis. „Indem wir die elektrostatische Abstoßungskraft eingeführt haben, können wir nun stabile, gut voneinander getrennte Strukturen aufrechterhalten. Damit haben wir endlich eine kontrollierbare Plattform, um diese subtilen nicht-reziproken Effekte zu untersuchen.“

Von der Frustration zum Erfolg

Die Methode des Teams eröffnet neue Möglichkeiten, Materie in der Luft zu manipulieren. Potenzielle Anwendungsbereiche sind die Materialwissenschaft, die Mikrorobotik und andere Bereiche, in denen es darauf ankommt, kontrollierte, dynamische Strukturen aus kleinen Bausteinen zu bilden.

Physiker:innen am ISTA haben eine Methode entwickelt, um Objekte akustisch schweben zu lassen und sie gleichzeitig mithilfe von Ladung physisch voneinander getrennt zu halten.
Physiker:innen am ISTA haben eine Methode entwickelt, um Objekte akustisch schweben zu lassen und sie gleichzeitig mithilfe von Ladung physisch voneinander getrennt zu halten. Von links nach rechts: Doktorand:innen Sue Shi und Maximilian Hübl sowie Assistenzprofessoren Scott Waitukaitis und Carl Goodrich. © ISTA

Inzwischen nutzt das Team seinen Ansatz bereits, um die nicht-reziproken Effekte zu untersuchen, zu denen er Zugang verschafft. „Anfangs war es frustrierend, diese hybriden Konfigurationen und seltsamen Rotationen und Dynamiken zu sehen – sie hinderten mich daran, die sauberen, stabilen Kristall-Strukturen zu erhalten, die ich anstrebte“, sagt Shi. Als sie jedoch ihre Ergebnisse auf Konferenzen vorstellte und die Begeisterung anderer Wissenschafter:innen sah, begann sie, diese als faszinierendes Phänomen an sich zu schätzen. „Das ist das Lustige an Experimenten: Die interessantesten Entdeckungen kommen oft aus Dingen, die nicht wie geplant verlaufen.“

Die Wissenschaft hat tatsächlich etwas Magisches an sich.

Assistenzprofessor Carl Goodrich, Doktorand:innen Maximilian Hübl und Sue Shi sowie Assistenzprofessor Scott Waitukaitis.
Die Studienautor:innen. Von links nach rechts: Assistenzprofessor Carl Goodrich, Doktorand:innen Maximilian Hübl und Sue Shi sowie Assistenzprofessor Scott Waitukaitis. Nicht im Bild: der ehemalige ISTA-Postdoc Galien Grosjean. © ISTA

Im November dieses Jahres gab die American Physical Society bekannt, dass Waitukaitis den Early Career Award for Soft Matter Research 2026 erhalten wird. Die Auszeichnung erhält er „für die Aufklärung des zentralen Rätsels der Kontaktelektrisierung und dafür, dass er durch elegante und durchdachte Experimente immer wieder Klarheit und Genauigkeit in komplexe Probleme der weichen Materie gebracht hat.“

Publikation:

Sue Shi, Maximilian C. Hübl, Galien Grosjean, Carl P. Goodrich, and Scott R. Waitukaitis. 2025. Electrostatics overcome acoustic collapse to assemble, adapt, and activate levitated matter. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. DOI: 10.1073/pnas.2516865122

Projektförderung:

Dieses Projekt wurde durch Mittel der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich, Förderungsnummer FTI23-G-011, finanziert.



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