1. Oktober 2018
With a little help from my friends
Mathematisches Modell erklärt, warum uns einige Bakterien auch in kleiner Dosis krank machen können – Studie in PNAS veröffentlicht
Schon wenige Shigella-Bakterien reichen aus, um eine Gastroenteritis auszulösen, während für eine Cholera-Erkrankung Tausende bis Millionen von Vibrio cholerae Bakterien verschluckt werden müssen. Warum unterscheidet sich die Dosis, die benötigt wird, um eine Krankheit auszulösen, so stark von Bakterium zu Bakterium? Auf Beobachtungsdaten basierend haben Biologen bereits vorgeschlagen, dass dieser Unterschied darauf zurückzuführen sein könnte, wie Bakterien ihre Wirte angreifen: Während beispielsweise Shigella-Bakterien lokal wirken, indem sie Proteine direkt in die Wirtszellen injizieren, greifen Cholera-Bakterien aus der Ferne an, indem sie Cholera-Toxin ausschütten. Joel Rybicki, Postdoc am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria), und seine Kollegen Eva Kisdi und Jani Anttila an der Universität Helsinki entwickelten ein mathematisches Modell bakterieller Infektionen. Ihre Ergebnisse stützen die Hypothese, dass die Reichweite des krankheitserregenden Mechanismus der Grund dafür ist, dass verschiedene Bakterien unterschiedliche Infektionsdosen haben. Sie sagen voraus, dass der Mechanismus auch beeinflusst, wie schnell sich eine Infektion im Wirt ausbreitet. Ihre Studie erscheint heute in PNAS.
Rybicki und Kollegen bauten ein mathematisches Modell, das bakterielle Infektionen widerspiegelt. Im Vergleich zu echten Bakterien erlaubt dieses „theoretische“ Bakterium den ForscherInnen, nur einen Aspekt des Bakteriums zu verändern, in diesem Fall den Mechanismus der Pathogenese, während alle anderen Aspekte gleich bleiben – was mit einem „echten“ Bakterium nur schwer, wenn nicht gar unmöglich, wäre. In ihrem Modell können die Forscher nahtlos die Entfernung, von der das Bakterium den Wirt angreift und dem Immunsystem ausweicht, vergrößern oder vergleichen. Wenn alle anderen Bedingungen gleich bleiben, so sehen sie, dass eine Bakterienart, die ein lokal wirkendes Toxin freisetzt, nur wenige Bakterien benötigt, um eine Infektion zu starten, während eine Bakterienart, die ein über große Distanzen wirkendes Toxin freisetzt, eine größere Anzahl von Bakterien benötigt, um eine Infektion in Gang zu bringen. Das Modell liefert eine theoretische Grundlage für das Phänomen, das die Infektionsdosis und das Ausmaß des pathogenen Mechanismus verbindet.
Die Modelle der Forscher zeigen, dass es einen Schwellenwert für die Infektionsdosis gibt, erklärt Rybicki: „Bakterien, die einen Wirt mit sich ausbreitenden Toxinen angreifen, haben ein Problem. Wenn es nur ein Bakterium gibt, breitet sich das Gift aus und lässt das Bakterium ungeschützt zurück. Das Immunsystem kann dann das abwehrunfähige Bakterium angreifen. Das Bakterium braucht also Hilfe von seinen Freunden: Nur wenn genügend Bakterien gemeinsam Toxine freisetzen, sind sie alle vor dem Immunsystem geschützt. Für Bakterien mit lokal wirkendem Toxin ist die Schwelle niedriger: Das Toxin breitet sich nicht aus, so dass selbst einige wenige zusammenwirkende Bakterien vor einem Immunangriff geschützt sind.“
Simulationen dessen, was bei lokalen Infektionen und bei Infektionen über größere Distanzen passiert, zeigten, dass sich eine Infektion schnell ausbreitet, wenn sich entfernt wirkende Bakterien festgesetzt und die Infektion ausgelöst haben. Lokal wirkende Bakterien haben einen niedrigeren Schwellenwert um eine Infektion auszulösen, aber die Infektion breitet sich langsamer aus. „Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum sich diese verschiedenen Mechanismen der Pathogenese überhaupt entwickelt haben“, sagt Rybicki.
Joel Rybicki kam im Januar 2018 als ISTplus Postdoc in der Gruppe von Dan Alistarh ans IST Austria. IST Austria hat das von der Europäischen Union teilfinanzierte Postdoc-Programm ISTplus ins Leben gerufen, um herausragende Postdocs anzuwerben. Joel Rybicki studierte Distributed Computing, aber in seinem vorherigen Postdoc analysierte er auch Probleme der mathematischen Biologie: „Das ist der Grund, warum ich an das IST Austria gekommen bin. Da ForscherInnen aus verschiedenen Disziplinen auf einem Campus zusammenarbeiten, hoffe ich, dass ich meine Interessen verbinden und Fragen sowohl in der mathematischen Biologie als auch in der theoretischen Informatik verfolgen kann.“ Rybicki untersucht derzeit auch ökologische Fragen wie die Fragmentierung von Lebensräumen, die überraschende Ähnlichkeiten mit der jetzt veröffentlichten Studie aufweisen: „In dieser Studie verwenden wir ökologische Modellierungstechniken auf mikrobieller Ebene. Es ist interessant, dass wir die gleichen mathematischen Modellierungsansätze verwenden können, um sehr unterschiedliche biologische Phänomene zu untersuchen.“