15. Februar 2024
Blitzgescheiter: Flash and Freeze-Fracture
Forschende analysieren Hirnregion mit Lichtblitzen, Hochdruck-Gefrieren & Brechen
Ängste und Abhängigkeiten können unser Leben sehr negativ beeinflussen. Sie zu kontrollieren ist herausfordernd, da sie von komplexen neuronalen Schaltkreisen in unserem Gehirn gesteuert werden. Die molekularen Mechanismen dieser Schaltkreise besser zu verstehen, könnte helfen, bei möglichen Fehlfunktionen einzugreifen. Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben Forschende eine neue Methode entwickelt, um die entsprechende Gehirnregion zu untersuchen. Die im Fachmagazin PNAS veröffentlichten Ergebnisse enthüllen einen bisher unbekannten Weg, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren.
Auf der Suche nach Futter trifft ein Vogel auf einen Fuchs. Der Vogel kann gerade noch entkommen, doch der Anblick und die Geräusche des Raubtiers haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das negative Erlebnis hat sich in sein Gehirn eingeprägt und wird mit Stress und Angst assoziiert. Begegnet der Vogel nun wieder einem Fuchs, wird die Erinnerung geweckt. Der Vogel wird aufmerksamer, sein Herzschlag schneller und er passt sein Verhalten an, alles mit dem Ziel, das Risiko eines Angriffs zu minimieren. Vermittelt wird die Erinnerung an den Fuchs von der medialen Habenula – einer Hirnregion, die als Zentrum für die emotionale Verarbeitung gilt.
Genau diesen Teil des Gehirns haben Peter Koppensteiner, Pradeep Bhandari, Cihan Önal und weitere Wissenschafter:innen aus der Forschungsgruppe von Ryuichi Shigemoto nun untersucht. Die Forschenden wollten herausfinden, wie die Neuronen (Nervenzellen) in diesem Bereich miteinander kommunizieren. Mithilfe einer neuen Visualisierungstechnik namens „Flash and Freeze-fracture“ geben sie einen noch nie dagewesenen Einblick in die mediale Habenula. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift PNAS.
Widersprüchliche Gehirnzellen
Nervenzellen in der medialen Habenula verhalten sich sehr ungewöhnlich und widersprechen dabei dem allgemeinen Verständnis davon, wie Neuronen untereinander Signale übertragen. „Normalerweise wird die Kommunikation zwischen Neuronen unterbrochen, sobald ein bestimmtes Molekül auf der Oberfläche der Zellen, der sogenannte ‚GABAB‘-Rezeptor, aktiviert wird“, erklärt Peter Koppensteiner, ehemaliger Postdoc in der Shigemoto Gruppe und jetzt Staff Scientist in einer der wissenschaftlichen Services am ISTA (Scientific Service Units, SSUs). In Neuronen der medialen Habenula geschieht genau das Gegenteil. „Dort wird durch die Aktivierung von GABAB die Kommunikation sogar angeregt, sodass sie die stärkste synaptische Vermittlung im gesamten Gehirn aufweist“, so der Forscher weiter. Der zugrundeliegende Mechanismus war bisher unbekannt.
Das Innenleben von Neuronen analysieren
Um dieses Phänomen zu entschlüsseln, untersuchten die Forschenden am ISTA durch einen Lichtstrahl angeregte Neuronen der medialen Habenula in Mäusen. „Das ist eine sehr schwierige Aufgabe“, erklärt Ryuichi Shigemoto. „Die Vorgänge in den Neuronen laufen in Millisekunden ab. Klassischen elektronenmikroskopischen Methoden fehlt die zeitliche Auflösung, um diese zu erfassen.“
Ausgangspunkt war dabei eine Methode, die in den letzten zehn Jahren federführend von der Forschungsgruppe von Peter Jonas entwickelt worden ist. Mit der sogenannten „Flash and Freeze“ Technik, bei der Neuronen von einem Lichtstrahl stimuliert und sofort eingefroren werden, lässt sich die Struktur von Neuronen analysieren. Nun gelang es den Forschenden, das Verfahren wesentlich zu erweitern. Die „Flash and Freeze-fracture“ bietet jetzt die Möglichkeit, auch Proteine und Moleküle zu visualisieren – ein Fortschritt, mit dem die Forscher:innen genauestens beobachten können, wohin Proteine nach der neuronalen Aktivierung wandern und warum sie bestimmte Positionen einnehmen.
Letzteres ist von besonderer Bedeutung. „Die Kommunikation an den Synapsen verändert sich je nachdem, wo sich bestimmte Proteine befinden. Unsere neue Methode zeigt, dass die schnellen Positionsänderungen einiger Proteine die Synapsen stärken“, so Koppensteiner. Vor allem zwei Proteine mit bisher unbekannten Funktionen, SPO und CAPS2, fielen den Wissenschafter:innen auf. Beide lagern sich in der Nähe der Synapse an. CAPS2 verhält sich dort wie ein Anker für Vesikel – kleine kugelförmige Bläschen, die mit Neurotransmittern gefüllt sind. Diese Funktion ist entscheidend, da sie die effiziente Freisetzung von Botensignalen an die benachbarte Nervenzelle ermöglicht und somit die Kommunikation zwischen Nervenzellen anregt.
Mithilfe dieser Erkenntnisse könnten in Zukunft neue Mechanismen und Ansätze gefunden werden, um Synapsen, die etwa bei neurodegenerativen Krankheiten nicht mehr richtig funktionieren, aktiv zu stärken.
Ryuichi Shigemoto fügt abschließend hinzu: „Ich bin fasziniert von dieser bemerkenswerten Publikation, die den Mechanismus dieses ungewöhnlichen Phänomens im Gehirn klärt.“
Publikation:
P. Koppensteiner, P. Bhandari, C. Önal, C. Borges-Merjane, E. Le Monnier, U. Roy, Y. Nakamura, T. Sadakata, M. Sanbo, M. Hirabayashi, J. Rhee, N. Brose, P. Jonas, R. Shigemoto. 2024. GABAB receptors induce phasic release from medial habenula terminals through activity-dependent recruitment of release-ready vesicles. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2301449121.
Projektförderung:
Dieses Projekt wurde mit Mitteln des Europäischen Forschungsrats (ERC) und der Europäischen Kommission im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union unterstützt (ERC-grant Nr. 694539 für Ryuichi Shigemoto und Marie-Skłodowska-Curie-Grant Nr. 665385 für Cihan Önal).
Information zu Tierversuchen:
Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß der strengen in Österreich geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt. Alle tierexperimentellen Verfahren sind durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung genehmigt.