27. Juli 2018
ERC Starting Grant für Mikhail Lemeshko
Projekt zur Weiterentwicklung der Theorie der "Angulon"-Quasiteilchen wird durch angesehenen Förderpreis des Europäischen Forschungsrats unterstützt | Forschung in theoretischer Physik mit einer Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten
In dieser Förderrunde gehen gleich zwei Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) an Professoren des Institute of Science and Technology Austria (IST Austria). Einer der Preisträger ist der theoretische Physiker Mikhail Lemeshko, der seit 2014 am IST Austria arbeitet. In seinem Projekt, das der ERC mit knapp 1,5 Millionen Euro unterstützen wird, wird er eine allgemeine Theorie des Angulons aufstellen. Dieses Quasiteilchens hat er während seiner Forschungstätigkeit am IST Austria entdeckt. Das Angulon soll dabei helfen, bisher unlösbare Probleme in verschiedenen Bereichen, von der Chemie bis zur Technologie der Datenspeicherung, zu bewältigen.
Rotation ist in der Natur allgegenwärtig. Sie spielt bei der Bewegungen der Elektronen in einem Atom ebenso eine Rolle wie bei der Bildung von Galaxien. In der mikroskopischen Welt, die von den Gesetzen der Quantenmechanik beherrscht wird, sind die Wechselwirkungen rotierender Teilchen extrem schwierig zu modellieren. Dies war das Problem, das Mikhail Lemeshko vor drei Jahren dazu brachte, das Quasiteilchen „Angulon“ einzuführen. Ein Quasiteilchen ist ein Konzept in der Physik, das dazu beitragen kann, die Beschreibung von Vielteilchensystemen wesentlich zu vereinfachen und somit Berechnungen zu ermöglich, die vorher nicht durchführbar waren.
Um beispielsweise die Rotation eines komplexen Moleküls in einer Flüssigkeit zu beschreiben, müssten PhysikerInnen im Prinzip die Wechselwirkungen von Billionen miteinander wechselwirkender Teilchen modellieren, was zeitaufwendig, wenn nicht sogar unmöglich wäre. Alternativ können sie versuchen, das Problem in Bausteine einzuteilen, die miteinander nur schwach interagieren. Das Angulon ist ein solcher Baustein. Es besteht aus einem rotierenden Molekül, und der umliegenden Flüssigkeit, die den Drehimpuls trägt. Es erlaubte Lemeshko bereits, experimentelle Daten aus 20 Jahren zu erklären, was einen starken Beweis dafür lieferte, dass Angulons tatsächlich im Experiment entstehen.
Ein Weg um Speicher schneller zu machenIn seinem vom ERC geförderten Projekt möchte Lemeshko eine umfassende Theorie der Angulons entwickeln und sie auf eine Vielzahl ungelöster Probleme in Physik und Chemie anwenden. Ein Beispiel ist die Herausforderung, den Speicher von Smartphones und Computern zu beschleunigen. Speichermedien bestehen aus magnetischen Momenten, den Spins, die entweder nach oben oder nach unten zeigen. Schreibt man in den Speicher, wird die Ausrichtung der Spins durch Anlegen eines Magnetfelds verändert, dieser Prozess ist jedoch langsam. Forschung zu schnelleren Technologien wird bereits seit Jahren betrieben, hat aber noch nicht zu Produkten geführt, die in elektronischen Geräten verwendet werden können, da zu viele Phänomene noch nicht verstanden sind. In einigen dieser Rätsel spielen Rotation beziehungsweise Drehimpuls eine Rolle, und somit könnte das Angulon in diesem Fällen helfen. Die Anwendung des Angulons zur Erklärung dieser Phänomene wird die Forscher einen weiteren Schritt in Richtung des Verständnisses magnetischer Prozesse und möglicherweise der Entwicklung schnellerer Speichertechnologien voranbringen.
Eine andere Anwendung kommt aus der Chemie. Die Art und Weise, wie Moleküle miteinander reagieren, wird durch ihre relative Orientierung in der Lösung bestimmt, die sich mit ihrer Rotation ändert. Auch in diesem Fall könnte das Angulon Berechnungen und Vorhersagen ermöglichen, die zuvor unmöglich schienen. Das Ziel ist, irgendwann in der Zukunft chemische Reaktionen kontrollieren zu können.
„Es gibt viele Probleme, die unlösbar erscheinen, wenn man sie auf direkte Art und Weise angeht, aber die Einführung von Quasiteilchen macht sie handhabbar“, sagt Mikhail Lemeshko.
Mikhail Lemeshko kam vor vier Jahren an das IST Austria, nachdem er drei Jahre lang als unabhängiger Postdoc an der Harvard University gearbeitet hatte. Im vergangenen Jahr wurde er mit dem Ludwig Boltzmann-Preis der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft ausgezeichnet. Seine Forschungsgruppe beschäftigt sich mit der Physik von Quantenverunreinigungen, die einen Bahndrehimpuls besitzen. Derzeit umfasst die Gruppe zwei Postdocs und drei Doktoranden und wird mit den neuen ERC-Mitteln voraussichtlich erheblich wachsen.