3. September 2020
Zwei ERC Starting Grants für die IST-Professoren Julian Fischer und Scott Waitukaitis
Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat dem Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) zwei Grants für Spitzenforschung gewährt, die das Verständnis der Reibungselektrizität verbessern und die Rolle des Zufalls in Mehrskalenproblemen in Physik und Mechanik untersuchen sollen.
Zwei Professoren des IST Austria – Julian Fischer und Scott Waitukaitis – haben vom Europäischen Forschungsrat (ERC) zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Euro erhalten, um die physikalischen Mechanismen hinter Reibungselektrizität zu erforschen und weitgehend unerforschte Aspekte von Mehrskalen-PDGs zu untersuchen. Die beiden Zuschüsse sind Teil der „Starting Grant“-Initiative des ERC, mit der Forschungsarbeiten unterstützt werden, die das Potenzial haben, zu großen wissenschaftlichen Durchbrüchen beizutragen.
Weitere Forschung in beiden Bereichen könnte zu einem tieferen Verständnis des Einflusses von Zufall auf mehrskalige PDGs führen und sich auf neue Technologien wie reibungselektrische Nanogeneratoren auswirken.
Julian Fischer: Skalen in zufälligen Materialien überbrücken
Viele Materialien in Natur und Technik sind heterogen, wenn man sie auf mikroskopischer Ebene betrachtet, verhalten sich aber auf alltäglichen Längenskalen wie ein homogenes Material. In den meisten dieser Materialien bilden diese mikroskopischen Heterogenitäten ein komplexes zufälliges Muster. Das Ziel von Fischers Projekt ist es, ein tieferes mathematisches Verständnis der Rolle des Zufalls in mehrskaligen Problemen in Physik und Mechanik zu erzielen und dabei Fragen zu beantworten wie: Wie wirken die zufällige mikroskopische Struktur und das nichtlineare Verhalten des Materials zusammen, um ein homogenes effektives Verhalten auf alltäglichen Längenskalen zu erzeugen?
„Um ein konkretes Beispiel zu nennen, werden wir untersuchen, wie sich Brüche in zufälligen Materialien ausbreiten. Neben der Herleitung effektiver makroskopischer Modelle für Brüche in solchen Materialien werden wir mathematische Beschreibungen für die Rauheit von Brüchen analysieren, die sich in einer solchen zufälligen Mikrostruktur ausbreiten. Unsere mathematische Analyse von zufälligen Medien wird es uns ermöglichen, die Effizienz numerischer Simulationsverfahren zu verbessern und ihre Zuverlässigkeit einzuschätzen“, erklärt Julian Fischer.
Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen des Projekts von Interesse ist, ist die stabilisierende Wirkung des Zufalls auf die zeitliche Entwicklung von Mikrostrukturen: Im Allgemeinen kann die zeitliche Entwicklung von Mikrostrukturen in Materialien empfindlich von der Ausgangskonfiguration abhängen, was eine zuverlässige numerische Approximation unmöglich macht. Fischer und sein Team werden numerische Verfahren entwickeln, die für „zufällige“ – d.h. für die meisten – Ausgangskonfigurationen zuverlässig sind.
Im Jahr 2017 wurde Julian Fischer im Alter von 27 Jahren Assistenzprofessor am IST Austria, nachdem er 2013 seine Promotion an der Universität Erlangen-Nürnberg abgeschlossen hatte und anschließend zwei Postdoc-Stellen an der Universität Zürich, Schweiz, und am Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften, Leipzig, inne hatte.
Scott Waitukaitis: Reibungselektrizität: ein Multiskalenansatz für ein dauerhaftes Problem in der Physik
Obwohl dieser Effekt jedem bekannt ist, der bereits von einem Türknauf geschockt wurde und seine Entdeckung wissenschaftlich bis ins antike Griechenland zurückreicht, bleibt der zugrundeliegende Mechanismus der Reibungselektrizität – der Austausch elektrischer Ladung zwischen Objekten während des Kontakts – rätselhaft. Selbst die Identität der übertragenen Teilchen, d.h. Elektronen vs. Ionen, ist in den meisten Fällen unbekannt. Neuere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Reibungselektrizität durch die Übertragung von Hydroxidionen von nanoskaligen Inseln aus adsorbiertem Wasser, die auf praktisch allen Oberflächen vorhanden sind, entstehen könnte. Mit Hilfe der Rasterkraftmikroskopie zur Charakterisierung von Oberflächen und modernster Techniken zur Messung des Ladungsaustauschs besteht ein Hauptziel von Scotts ERC darin, diese Hypothese zu bestätigen oder aufzuheben und zur Lösung des Jahrtausende alten Rätsels hinter der Reibungselektrizität beizutragen.
Scott Waitukaitis erklärt die Schwierigkeiten des ERC Starting Grant-Projekts Tribocharge: „Sich einem Problem zu stellen, das sich jahrhundertelang der Beschreibung entzogen hat, ist von Natur aus riskant. Ein echter Multi-Skalen-Ansatz zum Verständnis der Reibungselektrizität in einem einzigen Labor wurde jedoch noch nicht versucht. Unsere Experimente schlagen eine Brücke zwischen den makroskopischen Verhaltensweisen, die wir tagtäglich beobachten, und den rätselhaften stochastischen Merkmalen der Mesoskala, und letztendlich die einzelnen Ladungen auf der Oberfläche untersuchen. Über die grundlegende Relevanz hinaus kann unsere Arbeit auch bei neuen Technologien hilfreich sein, z.B. bei reibungselektrischen Nanogeneratoren, die den Effekt bisher ohne grundlegende Optimierungsstrategien nutzen“.
Scott Waitukaitis promovierte 2013 an der Universität von Chicago, USA, in Physik. Von 2013 bis 2016 war er als Postdoktorand an der Universität Leiden tätig, bevor er nach Amsterdam zog, wo er als Veni Fellow bei AMOLF arbeitete. Seit 2019 leitet Professor Waitukaitis das Labor für weiche und komplexe Materialien am IST Austria.
ERC am IST Austria
Preise, Ehrungen und Auszeichnungen sind ein wichtiger Maßstab zur Messung von Forschungsexzellenz. Die prestigeträchtigsten Stipendien für Grundlagenforschung auf europäischer Ebene werden vom Europäischen Forschungsrat (ERC) vergeben. Der ERC wurde 2007 von der Europäischen Union gegründet und ist die erste gesamteuropäische Förderorganisation für Spitzenforschung. Sein Ziel ist es, die wissenschaftliche Exzellenz in Europa zu fördern, indem er den Wettbewerb um Fördermittel zwischen den besten und kreativsten Forschern jeder Nationalität und jeden Alters anregt. Mit fast 48% hat IST Austria die bei weitem höchste Erfolgsquote an ERC Grants in Europa von Instituten mit mehr als 30 Grants.