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27. Februar 2017

Existenz eines neuen Quasiteilchens bewiesen

Angulon-Theorie kann Beobachtungen der letzten 20 Jahre erklären – Schnelle und effiziente Methode zur Beschreibung von Molekülinteraktionen mit umgebendem Material

illustration of an angulon
Illustration eines Angulons

Wie rotieren Moleküle in einer Lösung? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da unzählige umliegende Atome die Drehung des Moleküls stören. Großangelegte Computersimulationen waren daher lange Zeit die gängige Methode, um die Interaktionen zwischen Molekül und Lösung zu modellieren. Diese sind jedoch extrem zeitaufwändig und in manchen Fällen nicht durchführbar. Eine bestimmte Art von Quasiteilchen – so genannte Angulons – bietet dagegen eine schnelle und einfache Beschreibung der Drehung von Molekülen in einer Lösung. Mikhail Lemeshko vom Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) konnte nun zeigen, dass sich diese von ihm selbst vor zwei Jahren vorhergesagten Quasiteilchen tatsächlich bilden, wenn ein Molekül in eine Lösung aus superflüssigem Helium getaucht wird.

Quasiteilchen sind ein physikalische Konzept, das dazu dient, die Beschreibung von Vielteilchensystemen zu vereinfachen. Statt die starken Wechselwirkungen zwischen Trillionen einzelner Teilchen zu modellieren, identifiziert man Bausteine des Systems, die nur schwach miteinander wechselwirken. Diese Bausteine werden Quasiteilchen genannt und können aus Gruppen von Teilchen bestehen. Würde man zum Beispiel das Aufsteigen von Luftblasen in Wasser von Grund auf erklären, müsste man ein enormes Gleichungssystem lösen, das die Position und den Impuls jedes einzelnen Wassermoleküls beschreibt. Stattdessen kann man die Blasen selbst wie Teilchen – oder besser gesagt: Quasiteilchen – behandeln, was die Beschreibung des Systems dramatisch vereinfacht. Ein anderes Beispiel ist ein galoppierendes Pferd, das in eine aufgewirbelte Staubwolke eingehüllt ist. Man kann es sich als Quasiteilchen vorstellen, das aus dem Pferd selbst und aus dem sich mitbewegenden Staub besteht. Mit Hilfe eines solchen „Quasipferdes“ lassen sich die Abläufe wesentlich leichter verstehen, als wenn man jedes einzelne Staubkorn, sowie das Pferd, in einer Simulation beschreiben würde.  

Dieses zweite Beispiel ist der Arbeit von Mikhail Lemeshko sehr ähnlich. Anstatt das rotierende Molekül und all die Atome des umgebenden Materials getrennt zu beschreiben, nimmt er das Problem von der anderen Seite in Angriff und nutzt so genannte Angulon-Quasiteilchen. Angulons bilden sich, wenn ein rotierendes Objekt mit seiner Umgebung interagiert, und wurden vor zwei Jahren von Lemeshko und Schmidt theoretisch vorhergesagt. Bis heute wurden sie allerdings nur in der Theorie behandelt und ihre Existenz war nicht bewiesen. Lemeshkos Studie, die am Montag in den Physical Review Letters erscheint, beruht auf experimentellen Daten, die im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte in unterschiedlichen Labors gesammelt wurden. Eines haben alle diese Experimente gemeinsam: Moleküle unterschiedlicher Art wurden beobachtet, wie sie in kleinen Tröpfchen aus superflüssigem Helium rotierten. Wie Lemeshko nun zeigen konnte, ist die Vorhersage der Angolun-Theorie immer in Einklang mit den Beobachtungen, unabhängig davon, ob es sich um ein schweres oder ein leichtes Molekül handelt, um Methan, Wasser, Kohlendioxid oder zum Beispiel Ammoniak.

„In unserer ersten Studie haben wir Angulons als eine Möglichkeit postuliert, um die Rotation von Molekülen in Lösungen zu beschreiben. Jetzt haben wir den Nachweis, dass Angulons tatsächlich existieren“, sagt Lemeshko. Das bedeutet eine deutliche Vereinfachung für bestehende Vielteilchentheorien und könnte in weiterer Folge zu Anwendungen in der Molekularphysik, der theoretischen Chemie und möglicherweise sogar in der Biologie führen.

Eine erste Anwendung der Angulon-Theorie wurde vor kurzem von Enderalp Yakaboylu, einem Postdoc aus der Forschungsgruppe von Lemeshko, entdeckt. Die Forscher sagten voraus, dass auch ein nicht polarisierbares Medium eine Verunreinigung in seinem Inneren vor einem äußeren elektromagnetischen Feld abschirmen kann. Dieser Effekt, der der Intuition zuwider läuft, wird „anomalous screening“ (Anormale Abschirmung) genannt und wird durch einen Austausch von Drehimpuls auf der Quantenebene verursacht. Diese Entdeckung, die diese Woche ebenfalls in den Physical Review Letters veröffentlicht wurde, war erst möglich, als die geladenen Teilchen und ihre interagierende Umgebung als Angulon-Quasiteilchen beschrieben wurden. Zukünftige Messungen werden zeigen, ob sich die Vorhersage experimentell bestätigen lässt.

Nach drei Jahren als unabhängiger Postdoc an der Harvard Universität kam Mikhail Lemeshko 2014 an das IST Austria. Seine Forschungsgruppe „Theoretische atomare, molekulare und optische Physik“ besteht derzeit aus drei Postdocs und einem PhD-Studenten. Das Hauptaugenmerk der Forschung liegt dabei auf der Physik von Quantenunreinheiten, die einen Bahndrehimpuls besitzen. Vor kurzem erhielt er eine Förderung des Wissenschaftsfonds FWF, um seine Arbeit an Angulons weiterzuführen. Enderalp Yakaboylu ist Postdoc im ISTFELLOW-Programm, das von der Europäischen Union gefördert wird.



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