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5. Oktober 2020

Gesucht: Ein neuer Materiezustand

Professor Kimberly Modics Suche nach Quanten-Spin-Flüssigkeiten

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Die Grundsätze der Quantenmechanik öffnen das Tor zu einer schnelleren und sichereren Art der Computertechnik. Diese Quantencomputer sind zwar noch weit davon entfernt, ihr volles Potenzial auszuschöpfen, sie sind aber bereits einer der größten Durchbrüche des 21. Jahrhunderts. Um einen Quantencomputer zu realisieren, nutzt man, nutzt man im Normalfall Quantenbits, so genannte Qubits. Momentan befinden sich diese Qubits allerdings noch in der Entwicklung und sind im Allgemeinen noch nicht robust genug um hoch komplexe Aufgaben zu lösen. Viele ForscherInnen, wie IST Austria-Professorin Kimberly Modic, suchen nach einer neuen alternativen Methode. Ein neuer Materiezustand, die Quanten-Spin-Flüssigkeit, könnte die Antwort sein.

Eine Quanten-Spin-Flüssigkeit beruht auf einer intrinsischen Eigenschaft der Elektronen, dem so genannten Spin. Den Spin eines Elektrons kann man sich als einen winzig kleinen Pfeil vorstellen, der in jede Richtung zeigen kann. Wenn sich alle Spins in einem Material gegenseitig beeinflussen, genau wie die Moleküle in einer Flüssigkeit nennen PhysikerInnen dieses Verhalten „korreliert“. Das bedeutet, dass die Aktionen jedes Spins das Verhalten seiner Nachbarn bestimmen. In verschiedenen Materialien beeinflussen sich die Spins gegenseitig auf unterschiedliche Art. In einem gewöhnlichen Magneten zum Beispiel richten sich alle Spins in die gleiche Richtung aus und man erhält ein magnetisiertes Material. Wenn sich im Gegensatz dazu die Spins aufgrund der Ausrichtung der Elektronen nicht alle in die gleiche Richtung ausrichten können, spricht man von einem frustrierten magnetischen System. In diesem Fall fluktuieren die Spins sogar bei tiefsten Temperaturen und man erhält eine Quanten-Spin-Flüssigkeit. Hier liegt das Problem: Während WissenschafterInnen bereits in den 1970er Jahren Quanten-Spin-Flüssigkeiten theoretisch vorhersagten, konnten Experimente an potenziellen Materialien bislang noch keine charakteristische Signatur dieses neuen Materiezustands identifizieren. Tatsächlich wissen ForscherInnen nicht, wonach sie Ausschau halten sollen, was die Suche schwierig macht. Hier kommt Kimberly Modic ins Spiel.

Sie entwickelte eine neuartige Technik, um die magnetischen Eigenschaften von potenziellen Materialien zu messen und etwas über die Wechselwirkungen zwischen Spins zu erfahren. Es wird erwartet, dass bestimmte Voraussetzungen wie extrem kalte Temperaturen oder hohe Magnetfelder notwendig sind, um eine Quanten-Spin-Flüssigkeit zu beobachten. Mit ihrer Methode modifiziert Kimberly Modic beides, während sie das magnetische Verhalten ihrer Probe kontinuierlich auf Anomalien untersucht. „Unsere Technik erkennt einen Effekt innerhalb von einer Milliarde anderer und revolutioniert damit die Art und Weise, wie wir die magnetischen Eigenschaften von Materialien bestimmen. Daher gibt es allen Grund zu erwarten, dass diese neue Technik zu einem Mainstream-Werkzeug für die Untersuchung von Quanten-Spin-Flüssigkeiten werden wird,“ erklärt Professor Modic.

Gegenwärtig ist Rutheniumtrichlorid, ein dunkler, metallisch aussehender Feststoff, einer der Favoriten für eine Quanten-Spin-Flüssigkeit. Es ist eines der am besten untersuchten Materialien in diesem Zusammenhang, und wöchentlich erscheinen neue Arbeiten, die versuchen, das Verhalten zu erklären. Das Einzigartige an Kimberly Modics jüngster Studie ist ihre Fähigkeit, Rutheniumtrichlorid über einen weiten Temperatur- und Magnetfeldbereich mit extrem hoher Präzision zu messen. Dabei zeigte sich eine anomale magnetische Reaktion; es scheint, dass sich alle komplexen Spinwechselwirkungen über das Material ausbreiten und die gemessene Spinwechselwirkungsstärke effektiv verschwindet. Dieses Phänomen wird von einer Quanten-Spin-Flüssigkeit erwartet und könnte ein Indikator dafür sein, dass Rutheniumtrichlorid alles ist, was sich ForscherInnen erhofft haben. „Wir wissen noch nicht sicher, ob Rutheniumtrichlorid eine Quanten-Spin-Flüssigkeit ist, aber es hat eine sehr nicht-triviale magnetische Reaktion, wenn es Magnetfeldern ausgesetzt wird. Die Tatsache, dass wir dieses Verhalten nicht mit herkömmlichen Magneten erklären können, gibt uns allen Grund, tiefer zu graben. Hier werden die Dinge interessant!“

Am IST Austria werden Kimberly Modic und ihr Team Quanten-Spin-Flüssigkeiten und andere moderne Quantenmaterialien untersuchen. „Wir demonstrierten eine neue Fähigkeit sowie eine neue Art und Weise, über Spinflüssigkeiten nachzudenken. Dies ist aber nur ein aufregender erster Schritt. In einem reichhaltigen physikalischen System wie Rutheniumtrichlorid verlangt diese Entdeckung einfach nach mehr Experimenten. Wir denken bereits über neue Wege nach, um die Technik zu verbessern und auf neue Klassen von 2D-Materialien auszudehnen. Eine Sache, die uns bei diesem Projekt klar wurde, ist, dass wir der Probenpflege und -vorbereitung mehr Aufmerksamkeit widmen müssen.  Am IST haben wir vor kurzem ein Plasma-FIB (fokussierter Ionenstrahl) erworben, mit dem wir diesen Aspekt unserer Experimente kontrollieren und vollständig modernisieren können. Wir freuen uns auf neue Richtungen, die mit dieser Fähigkeit einhergehen werden.“

Zuletzt wurde die Forschung von Professor Kimberly Modic in der August-Ausgabe der Zeitschrift Nature Physics vorgestellt. Unter diesem Link, können die aktuellsten Ergebnisse nachgelesen werden.



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