13. Januar 2017
Neues System für das Bilden von Erinnerungen
Beim Erinnern an Bewegung agiert der entorhinale Kortex unabhängig vom Hippocampus · Studie in Science erschienen
Bis jetzt galt der Hippocampus als wichtigste Gehirnregion für das Bilden und Abrufen von Erinnerungen, während anderen Regionen nur eine untergeordnete Rolle zukam. Eine heute in Science erschienene Studie zeigt aber, dass eine Gehirnregion namens entorhinaler Kortex eine neue und selbständige Rolle in der Gedächtnisbildung spielt. Ein Forscherteam unter der Leitung von Jozsef Csicsvari, Professor am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria), zeigt, dass der entorhinale Kortex von Ratten Erinnerungen an Bewegungen wiederspielen kann, und zwar unabhängig von Input des Hippocampus.
„Bis dato wurde der entorhinale Kortex als dem Hippocampus untergeordnet gesehen, sowohl was die Bildung als auch das Abrufen von Erinnerungen betrifft. Aber wir zeigen, dass das Muster des neuronalen Feuerns, das mit dem Laufen durch das Labyrinth verbunden ist, vom medialen entorhinalen Kortex – unabhängig vom Hippocampus – wiedergegeben wird. Der entorhinale Kortex könnte ein neues System für die Bildung von Erinnerungen sein, und parallel zum Hippocampus arbeiten“, erklärt Jozsef Csicsvari.
Beim Bilden einer räumlichen Erinnerung agieren Zellen im medialen entorhinalen Kortex (MEK), insbesondere die Gitterzellen, wie ein Navigationssystem. Sie informieren den Hippocampus darüber, wo sich das Tier befindet, und geben Hinweise darauf, wie weit und in welche Richtung sich das Tier bewegt hat. Ratten kodieren Ort und Bewegung indem sie im Hippocampus Netzwerke von Neuronen bilden, die gemeinsam feuern. Um eine Erinnerung zu festigen, wird sie abgerufen. Dabei wurde der MEK bisher als dem Hippocampus nachgeordnet betrachtet. Im Hippocampus geschieht dieses Abrufen von Erinnerungen während einer Phase, die „sharp wave/ripples“ genannt wird und während der die neuronalen Netzwerke auf eine äußerst synchrone Art feuern. Gemäß der bisher vorherrschenden Sicht initiiert der Hippocampus diese Wiederholung und koordiniert die Konsolidierung von Erinnerungen, während der MEK nur als Relaisstation dient, die die Botschaft an andere Gehirnbereiche verteilt.
Um zu ergründen, ob eine Wiederholung auch im MEK stattfindet, untersuchten die Forscher den Gedächtnisabruf in Ratten, die durch ein Labyrinth laufen. Sie zeigen, dass die Neuronen in den oberflächlichen Schichten des MEK, einem Teil des MEK, der Signale an den Hippocampus sendet und Gitterzellen enthält, während der Gedächtnisaufgabe feuern und Routen durch das Labyrinth als Feuersalven kodieren.
Überraschenderweise finden die Autoren, dass eine Wiederholung des Feuerns im oberflächlichen MEK nicht von einer Wiederholung des Feuerns im Hippocampus begleitet wird. Sowohl während des Schlafs als auch in Wachperioden löst der oberflächliche MEK selbst die Wiederholung aus und initiiert Abruf und Festigung der Erinnerung unabhängig vom Hippocampus.
Joseph O’Neill, Erstautor und Postdoc in der Gruppe von Jozsef Csicsvari, erklärt, wie diese Ergebnisse unsere Sicht auf die Entstehung von Erinnerungen verändert: „Der Hippocampus allein gibt nicht vor, wie Erinnerungen gebildet und abgerufen werden. Wahrscheinlich bilden der entorhinale Kortex und der Hippocampus zwei Systeme für das Entstehen und den Abruf von Erinnerungen. Obwohl sie zusammenhängen, arbeiten die zwei Regionen wahrscheinlich parallel. Sie können verschiedene Bahnen rekrutieren und unterschiedliche Rollen im Gedächtnis spielen.“