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4. August 2021

Unvorhergesehene Effekte könnten die Pandemie verlängern

Wissenschafter_innen modellieren die Faktoren, die das Risiko der Entstehung eines impfstoffresistenten Virus beeinflussen

Counterintuitive Dynamics Threaten The End Of The Pandemic

Die Impfkampagnen gegen das Coronavirus versprechen ein baldiges Ende der Pandemie. Wissenschafter_innen befürchten jedoch, dass damit ein Umfeld geschaffen wird, in dem sich impfstoffresistente Virusstämme ausbreiten können. Ein internationales Forscherteam um Simon Rella hat ein Modell entwickelt, bei dem das Risiko, dass sich ein impfstoffresistentes Virus durchsetzt, am Ende der Impfkampagne drastisch ansteigt. Ihre Ergebnisse wurden in Nature Scientific Reports veröffentlicht.

Die Dynamik eines komplexen und globalen Phänomens wie der Coronavirus-Pandemie zu verstehen, ist keine leichte Aufgabe. Wissenschafter_innen kombinieren dazu Instrumente aus der Epidemiologie – dem Feld über die Ausbreitung von Krankheiten – und aus der Populationsgenetik – dem Feld über die Ausbreitung genetischer Merkmale. Sie erstellen mathematische Modelle, welche die Pandemie beschreiben.

Simon Rella, Forscher am Institute of Science and Technology (IST) Austria, hat in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftswissenschafterin Yuliya Kulikova von der Banco de España, dem Genetiker Emmanouil Dermitzakis von der Medizinischen Fakultät der Universität Genf und Fyodor Kondrashov vom IST Austria ein solches Modell der Pandemie erstellt. Damit untersuchen sie das Auftreten von impfstoffresistenten Virusstämmen. Die Ergebnisse der Wissenschafter_innen deuten darauf hin, dass die Impfung allein möglicherweise nicht ausreicht, um die Impfstoffresistenz des Virus zu unterdrücken, und dass weitere Gegenmaßnahmen erforderlich sind.

Eine virtuelle Pandemie

„Das Coronavirus mutiert immer wieder in winzigen Schritten“, erklärt Simon Rella, Erstautor der neuen Studie. „Einige seltene Mutationen könnten möglicherweise zu einer Resistenz gegen bestehende Impfungen führen. Viele dieser Mutationen können sich jedoch nicht effektiv in der Bevölkerung ausbreiten.“

In ihrem Computermodell simulierten die Wissenschafter_innen eine Bevölkerung von zehn Millionen Menschen, die in einer Pandemie mit ähnlichen Merkmalen wie in der Realität leben. Darin gibt es infizierte und kranke Menschen, geheilte und geimpfte Menschen und andere, die für das Virus noch empfänglich sind. Steigt die Zahl der Infizierten über einen bestimmten Schwellenwert, werden Eindämmungsmaßnahmen ergriffen und die Zahl der Neuinfektionen sinkt – genau wie in der echten Welt.

„Wir haben das mutierte, impfstoffresistente Virus und seine anfängliche Ausbreitung nach dem Zufallsprinzip simuliert“, so Rella weiter. „Das ist ein realistischer Ansatz, denn in der Realität gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die bestimmen, ob sich dieser neue Virusstamm ausbreiten kann: Isoliere ich mich, während ich krank bin? Wie anfällig sind die Menschen, mit denen ich in Kontakt bin? Und vieles mehr.“

Die Wissenschafter_innen untersuchten dann die epidemiologischen Faktoren, die das Risiko beeinflussen, dass ein neuer impfstoffresistenter Stamm zur vorherrschenden Form des Virus wird. Falls das passiert, würde die Impfung dadurch weniger oder gar nicht mehr wirksam werden.

Simon Rella 2021
Simon Rella. Simon Rella ist Doktorand am IST Austria und setzt sein Wissen aus der Physik in die Praxis um, um impfstoffresistente Coronavirus-Stämme zu modellieren. © Simon Rella

Weiter Maßnahmen nötig

„Wenn es viele Menschen gibt, die mit dem ursprünglichen Virusstamm infiziert sind, gibt es viele Möglichkeiten für das Virus, in jedem dieser Körper zu mutieren. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein impfstoffresistenter Stamm auftritt“, warnt Rella. Wenn die Impfkampagne nur langsam voranschreitet, hat das Virus mehr Zeit zu mutieren, und das Risiko nimmt ebenfalls zu.

„Wir haben aber auch ein unerwartetes Ergebnis gefunden: Am Ende einer Impfkampagne kann es sein, dass viele Menschen bereits geimpft sind und es aber noch viele andere Menschen gibt, die mit dem ursprünglichen Virus infiziert sind. Dann hat ein impfstoffresistenter Stamm nicht nur eine höhere Chance aufzutreten, sondern auch einen evolutionären Vorteil gegenüber dem ursprünglichen Stamm“, betont er.

Der neue Virusstamm wird durch die Impfung weniger oder gar nicht behindert, während sich der ursprüngliche Stamm in geimpften Menschen nicht ausbreiten kann. In diesem Szenario, in dem es sowohl viele geimpfte als auch noch infizierte Menschen gibt, ist das ein evolutionärer Vorteil für den neuen Virusstamm. Er kann sich leicht unter der geimpften Bevölkerung ausbreiten.

Die Wissenschafter_innen betrachten diesen Punkt in der Pandemie als besonders kritisch. Zusätzliche nicht-pharmazeutische Maßnahmen wie häufige Tests, Kontaktverfolgung und Reisebeschränkungen könnten erforderlich sein. Damit könnte man das Risiko zu verringern, dass ein impfstoffresistenter Virusstamm auftritt und sich durchsetzt. Diese Maßnahmen könnten die Ausbreitung des Virus eindämmen und die Zahl der infizierten Personen rasch verringern, wodurch sich die Chancen für eine Mutation des Virus verringern würden. „Dieser unerwarteten Dynamik zu verstehen könnte entscheidend sein, um die Pandemie zu besiegen“, fasst Rella zusammen.

Publikation

Rella, S.A., Kulikova, Y.A., Dermitzakis, E.T. et al. Rates of SARS-CoV-2 transmission and vaccination impact the fate of vaccine-resistant strains. Sci Rep 11, 15729 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-95025-3

Projektförderung

ETM wird von der Schweizerischen Stiftung für Wissenschaft und der Louis Jeantet Stiftung unterstützt. Die Arbeit von FAK wurde zum Teil durch den ERC Consolidator Grant (771209-CharFL) unterstützt.



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