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17. Februar 2020

Der Bibliothekar des Gedächtnisses

Hippocampus sucht richtige Erinnerungen aus – Studie in Neuron erschienen

© IST Austria – Csicsvari group

Während Ratten schlafen, festigt die Gehirnregion des Hippocampus Erinnerungen durch ein Wiederholen der neuronalen Aktivität. Durch selektives Stören dieser Wiederholung konnten Neurowissenschafter am Institute of Science of Technology Austria (IST Austria) zeigen, dass der Hippocampus als Bibliothekar fungiert: Er findet eine bestimmte Erinnerung, sobald die Ratte versucht, diese abzurufen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Gruppe von Professor Jozsef Csicsvari, die im Fachmagazin Neuron erscheint.

Professor Jozsef Csicsvari und sein Team am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) arbeiten mit Ratten, um herauszufinden, wie Erinnerungen gebildet, gespeichert und abgerufen werden. Für ihre Forschung verwenden sie einen speziellen Versuchsaufbau, das „Cheeseboard“-Labyrinth, das einer Scheibe Emmentaler ähnelt. Die Löcher des Cheeseboards sind Verstecke für Futter. Die Ratten lernen, in welchen Löchern diese Belohnungen versteckt sind. In der Vergangenheit zeigten Csicsvari und seine Gruppe, dass Ratten die Position der Belohnung lernen und diese neuronale Aktivität im sogenannten „Replay“ wiederholen: Platzzellen, Neuronen des Hippocampus, die feuern, wenn sich das Tier an einem bestimmten Ort befindet, sind besonders aktiv, wenn sich die Ratte an der Position der Belohnung befindet. Dieselbe Kombination an Platzzellen wird im Replay während des Schlafs aktiv.

Störung des Replay beeinträchtigt Erinnerung

In der nun erschienenen Studie wollten Jozsef Csicsvari und Igor Gridchyn, Erstautor und Postdoc in dessen Gruppe, testen, was geschieht, wenn das Replay zu einer spezifischen Belohnung gestört wird. Dazu lernten die Ratten die Position von Belohnungen auf zwei verschiedenen Cheeseboards, A und B. Während die Ratten schliefen, störten die Forscher den Replay von Erinnerungen, die auf Cheeseboard A gebildet wurden, den Replay von Erinnerungen, die auf Cheeseboard B gebildet wurden, hingegen nicht. Gridchyn entwickelte für diesen Versuch eine Berechnungsmethode, die die Aktivität von Neuronen im Gehirn der schlafenden Ratte dekodiert und innerhalb von Millisekunden entscheidet, ob Erinnerung A oder Erinnerung B wiederholt wird.

Wurde nun Erinnerung A wiederholt, so störten die Wissenschafter die neuronale Aktivität mittels Optogenetik, einer Methode, bei der Neuronen durch Lichtstrahlen gehemmt werden. Nachdem die Ratten geschlafen hatten, suchten sie wieder nach Belohnungen, die an denselben Positionen versteckt waren wie zuvor. Die Störung des Replay hatte Auswirkungen: Während Ratten die Belohnung auf Cheeseboard B fanden, hatten sie auf Cheeseboard A Schwierigkeiten, sie aufzuspüren. „Die Ratten fanden die Verstecke nicht so schnell, wenn wir den Replay während des Schlafs störten, sie konnten sich also schlechter an die Position der Verstecke erinnern. Mit unserer Methode konnten wir beeinflussen, welche Erinnerungen das Tier abrufen kann“, erklärt Csicsvari.

Ultra-slow exposure image of a memory experiment on a cheeseboard maze. © IST Austria – Csicsvari group
Langzeitbelichtete Aufnahme eines Erinnerungsexperiments in einem Cheeseboard-Labyrinth. © IST Austria – Csicsvari Gruppe

Neues Rollenbild des Hippocampus

Außerdem untersuchten die Neurowissenschafter, wie sich die Störung des Replay auf die Platzzellen auswirkt. Am Ende der Lernphase, bevor die Ratte schläft, feuern bestimmte Platzzellen und kodieren damit für die Position der Belohnung auf Cheeseboard A, während eine andere Kombination von Platzzellen für die Position der Belohnung auf Cheeseboard B kodiert. Sobald die Ratte versuchte, die Belohnung auf Cheeseboard B wiederzufinden – hier wurde das Replay nicht gestört – war dieselbe Gruppe an Platzzellen aktiv wie am Ende der Lernphase. Im Fall von Cheeseboard A jedoch feuerten die Platzzellen, die die Position der Belohnung zuvor kodiert hatten, während der Suche nicht mehr. Allerdings lernte die Ratte erneut, wo die Belohnung versteckt war – und dann kodierte wieder dieselbe Kombination an Platzzellen für die Position der Belohnung. „Die Störung des Replay löscht nicht die Kodierung der Erinnerung selbst. Stattdessen beeinträchtigt sie die Reaktivierung der richtigen Kodierung, und das stört wiederum das Abrufen der Erinnerung“, so Csicsvari.

Die Ergebnisse werfen ein anderes Bild auf die Rolle des Hippocampus in der Gedächtnisbildung. Csicsvari: „Das Replay im Hippocampus dient nicht der Festigung von Erinnerungen. Stattdessen hilft es dabei, beim Abrufen einer Erinnerung jene neuronale Aktivität auszuwählen, die diese kodiert. Sobald die Tiere eine Erinnerung wiedererlernten, wurden erneut dieselben Platzzellen aktiv. Das bedeutet, dass die Kodierung der Erinnerung trotz der Störung durch unser Eingreifen bereits gespeichert war, das Tier diese aber nicht aktivieren konnte. Das heißt, es existiert nicht nur ein Prozess, um die Erinnerung abzuspeichern, sondern auch ein Bibliothekar dazu, der sich merkt, wo sich die Erinnerung befindet. Der Hippocampus ist dieser Bibliothekar.“

Publikation

Igor Gridchyn, Philipp Schoenenberger, Joseph O’Neill & Jozsef Csicsvari. 2020. Assembly-specific disruption of hippocampal replay leads to selective memory deficit. Neuron. DOI: 10.1016/j.neuron.2020.01.021

Projektförderung

Dieses Projekt wurde aus Mitteln des European Research Council (Consolidator Grant Nr. 281511) gefördert.

Tierwohl

Um zu verstehen, wie das menschliche Gehirn funktioniert, ist es unumgänglich das Gehirn von Tieren während bestimmter Verhaltensweisen zu untersuchen. Keine anderen Methoden, wie z. B. in vitro oder in silico-Modelle, stehen hierfür als Alternative zur Verfügung. Die Tiere wurden gemäß der strengen in Österreich und der EU geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt.



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