26. November 2024
Eine neue Ära in der Amphibienbiologie
Forschende am ISTA untersuchen des Nervensystems von Fröschen mit harmlosen Viren
Amphibien spielen in der Evolution eine wichtige Rolle, da sie den Übergang vom Wasser- zum Landleben verkörpern. Sie sind entscheidend für das Verständnis des Gehirns und Rückenmarks von Tetrapoden, zu denen auch der Mensch gehört. Eine Gruppe von Forschenden, der auch ein Team am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) angehört, zeigt nun, wie harmlose Viren zur Analyse der Entwicklung des Nervensystems von Fröschen genutzt werden können. Die Ergebnisse erschienen in Developmental Cell.
Virus. Das Wort ist stark negativ behaftet. Doch nicht alle Viren sind schlecht oder verursachen Krankheiten. Einige werden sogar für therapeutische Anwendungen oder Impfungen eingesetzt. In der Grundlagenforschung, zum Beispiel, werden sie häufig genutzt, um bestimmte Zellen zu infizieren, sie genetisch zu verändern oder um Neuronen im zentralen Nervensystem (ZNS) – die Kommandozentrale, die aus Gehirn, Rückenmark und Nerven besteht – zu visualisieren.
Diese Visualisierung funktioniert nun endlich auch in Amphibien. Das zeigt eine neue Studie eines internationalen EDGE-Konsortiums unter der gemeinsamen Leitung der Sweeney Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und der Gruppe von Maria Tosches an der Columbia University. Die Forscher:innen entwickelten eine neue Technik, bei der Adeno-assoziierte Viren (AAV) eingesetzt werden, um das Nervensystem eines Frosches während der gesamten Metamorphose – dem Übergang vom der Kaulquappe zum erwachsenen Frosch – zu verfolgen. Ein Durchbruch, der die Neurobiologie der Amphibien in eine neue Ära führen könnte.
Schwimmen und Laufen
David Vijatovic und Lora Sweeney betreten ein Labor voller Wassertanks. Vijatovic klopft an einen der Behälter. Ein kleiner grünlich-braun gefleckter afrikanischer Krallenfrosch (Xenopus laevis) erscheint. Er hat ausgeprägte Gliedmaßen, die er anmutig manövriert und sich an seiner Umgebung festhält. In einem anderen Becken wirbeln Kaulquappen mit einfachen Schwimmbewegungen umher. Es ist bemerkenswert, dass sich das eine in das andere entwickelt.
„Frösche durchlaufen eine Metamorphose“, erklärt Sweeney, „das macht sie zu einem großartigen Modellorganismus, um den Übergang zwischen zwei Bewegungsarten – Schwimmen und Laufen – zu untersuchen.“ Die Entwicklung eines Frosches erstreckt sich über 12 bis 16 Wochen. Innerhalb dieser Wochen entwickelt sich ein Frosch von einem Embryo zu einer jungen Kaulquappe, zu einer Kaulquappe mit zwei Beinen, dann zu einem jungen Fröschlein mit vier Beinen und schließlich zu einem erwachsenen Frosch. Das gibt Wissenschafter:innen die Zeit, jedes einzelne Stadium genauestens zu untersuchen. „Wir schauen uns die verschiedenen Entwicklungsstadien an und analysieren dadurch das Fortbewegungsverhalten und die zugrundeliegenden Veränderungen im Nervensystem“, fügt Vijatovic hinzu.
Wie ein elektrischer Schaltkreis: Wie Frösche verkabelt sind
Das Nervensystem eines Organismus wird als neuronaler Schaltkreis bezeichnet, weil es einem elektrischen Schaltkreis ähnelt. „Nervenzellen (Neuronen) sind mit anderen Neuronen verbunden und übermitteln elektrische Informationen. Wie wir uns verhalten, was wir wahrnehmen und wie wir mit der Welt interagieren, ist das Ergebnis der Art und Weise, wie unsere Neuronen innerhalb dieser Schaltkreise miteinander kommunizieren“, erklärt Sweeney. Entscheidend ist, wie der Schaltkreis verdrahtet ist. Wir wissen, dass die Neuronen miteinander verbunden sind, aber welches Neuron ist mit welchem vernetzt? Mit welchen anderen Zellen „spricht“ eine einzelne Zelle und was „sagt“ sie?
Um mehr darüber herauszufinden wie Neuronen vernetzt sind nutzen Forscher:innen Viren. Adeno-assoziierte Viren (AAVs) sind in dieser Hinsicht ideal. Sie sind nicht krankheitserregend und können die meisten Zelle infizieren, auch eben Neuronen. AAVs können so verändert werden, dass sie unter dem Mikroskop in hellegrün fluoreszierenden Farben leuchten, während sie sich entlang von Neuronen bewegen. Sei es rückwärts, von der Synapse zum Zellkörper (retrograd) oder vorwärts, vom Zellkörper zur Synapse (anterograd). Mit anderen Worten: AAVs werden verwendet, um den neuronalen Schaltkreis vom sendenden Ende zum empfangenden Ende oder umgekehrt zu erleuchten.
„Dies ist eine gängige Technik in der Neurobiologie, insbesondere bei gut untersuchten Organismen wie Mäusen. Bei Amphibien dachte man lange, dass diese Methode nicht funktioniert“, erklärt Vijatovic. Das hat sich jetzt geändert.
Die Früchte einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit
Um das Nervensystem der Amphiben mit den AAVs markieren zu können, schlossen sich Sweeney und Vijatovic mit einer internationalen Gruppe von Forschenden zusammen. Darunter die Forschungsgruppe von Maria Tosches an der Columbia University, in der die beiden anderen Erst-Autor:innen der Studie, Eliza Jaeger und Astrid Deryckere, arbeiten sowie Wissenschafter:innen der Tel Aviv University, der University of Utah, des Scripps Research Institute und des California Institute of Technology. Die Forscher:innen tauschten ihr Fachwissen aus, besuchten Konferenzen, führten unzählige Zoom-Telefonate und brachten unterschiedliche Perspektiven und Ideen in das Projekt ein. „Wenn man anfängt, einen Organismus zu erforschen, der noch nicht gut verstanden ist, ist es gut, eine Gemeinschaft zu haben, in der man Informationen austauschen kann“, so Sweeney.
Das Team untersucht bekannte AAVs, um herauszufinden, welche für Amphibien geeignet sind. Die Infektionsstrategien wurden anschließend optimiert und bildeten schließlich einen „How to“-Leitfaden für Frösche und Molche. Sein PhD-Projekt fasst Vijatovic wie folgt zusammen: „Wir haben mit jungen Kaulquappen begonnen und uns dann zu älteren Kaulquappen vorgearbeitet und sind schließlich zu jugendlichen und dann zu erwachsenen Fröschen sowie zu erwachsenen Molchen übergegangen. Die neue Technik wurde so auf jedes Lebensstadium zugeschnitten.“
Vergleich zwischen Fröschen und Menschen: Was diese Forschung über uns aussagt
Mithilfe dieser neuen Technik ist es den Forschenden gelungen mit den richtigen AAVs die Verbindungen zwischen Neuronen in Amphibien aufzuspüren. Ein großer Schritt, um mehr darüber herauszufinden, wie das Gehirn von Amphibien im Vergleich zu dem von Säugetieren funktioniert. Darüber hinaus öffnet die neue Methode auch Türen für die weitere Analyse der neuronalen Entwicklung. Mit einigen der untersuchten AAV-Varianten können die Forscher:innen Vorläuferzellen zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Entwicklung des Schaltkreises markieren und sie verfolgen, um zu sehen, zu welchen bestimmten Neuronen sie sich entwickeln. „Auf diese Weise können wir den gesamten Schaltkreis in Entwicklungszeit auflösen – wir können also beobachten, wie er sich entwickelt und wie das gesamte Nervensystem aufgebaut ist“, erklärt Sweeney.
Obwohl Amphibien und Säugetiere sich in der Evolution vor etwa 360 Millionen Jahren voneinander getrennt haben, behalten sie gemeinsame Merkmale. „Wenn wir uns diese Details im Nervensystem eines Frosches im Vergleich zu dem des Menschen anschauen, können wir aufzeigen, was wir teilen und was nicht“, so Sweeney weiter. Dieses Wissen kann uns helfen zu verstehen, wie sich das Nervensystem beim Menschen im Laufe der Zeit spezialisiert hat. „Je mehr wir über die Grundbausteine des Nervensystems wissen, desto mehr verstehen wir, wie wir sie bei Krankheiten und Verletzungen ersetzen können.“
Publikation:
E.C.B. Jaeger, D. Vijatovic, A. Deryckere, N. Zorin, A. L. Nguyen, G. Ivanian, J. Woych, R. C. Arnold, A. Ortega Gurrola, A. Shvartsman, F. Barbieri, F. A. Toma, H. T. Cline, T.F. Shay, D. B. Kelley, A. Yamaguchi, M. Shein-Idelson, M. A. Tosches and L. B. Sweeney. 2024. Adeno-associated viral tools to trace neural development and connectivity across amphibians. Developmental Cell. DOI: 10.1016/j.devcel.2024.10.025
Projektförderung:
Der ISTA-Teil dieses Projekts wurde durch Mittel aus dem National Science Foundation EDGE Award IOS 2110086; dem FTI Strategy Lower Austria Dissertation FT121-D-046; dem Horizon Europe ERC Starting Grant 101041551; dem Special Research Programme (SFB) des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) ProjeKt F7814-B & und dem NIH Grant R35GM146973 unterstützt.
Information zu Tierversuchen:
Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß der strengen in Österreich geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt. Alle tierexperimentellen Verfahren sind durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung genehmigt.