20. Mai 2021
Umweltschädliche Labore: Forschende finden Lösungen
Als Teil einer österreichweiten Initiative setzen sich Forschende am IST Austria für umweltfreundlichere Labore ein.
Um korrekte Ergebnisse zu erzielen, müssen Forschende sauber arbeiten. Dabei produzieren sie aber mitunter jede Menge Abfall: Am Ende eines Arbeitstages im Labor quellen die Mistkübel mit Einweghandschuhen, Plastikpipetten und Petrischalen über. Die nächste Generation von Spitzenforschenden am IST Austria möchte das ändern und hat sich einer österreichweiten Initiative angeschlossen, um Labore umweltfreundlicher zu machen.
Paul Schanda hat kein Auto. Wann immer es geht, fährt er mit dem Rad, auf Flugreisen versucht er möglichst zu verzichten. Dennoch dürfte sein ökologischer Fußabdruck deutlich größer als der eines durchschnittlichen Österreichers sein. „Ich bin überzeugt, dass das Hauptproblem in Bezug auf die ökologischen Auswirkungen mein Arbeitsleben und nicht mein Privatleben ist“, so Schanda. Das liegt daran, dass er experimenteller Wissenschafter ist – im September wird der Biochemiker am Institute of Science and Technology (IST) Austria seine eigene Forschungsgruppe eröffnen, um zu untersuchen, wie Proteine strukturiert sind, wie sie sich bewegen und interagieren. „Ich möchte zumindest von Anfang an überlegen, wie man es so wenig umweltbelastend wie möglich machen kann“, so der IST Austria-Professor.
Die Wissenschaft, besonders die experimentelle, hat ein Umweltverschmutzungsproblem. Besonders deutlich wird das, schaut man am Ende des Tages in den Labor-Mistkübel, in dem sich Schälchen, Flakons, Pipetten, Einweghandschuhe und Spritzen aus verschiedensten Plastikarten türmen. „Als Zellbiologin muss alles, mit dem ich arbeite, steril sein. Dafür eignet sich Einwegplastik am besten, weil man sich darauf verlassen kann, dass die Proben nicht verunreinigt werden“, schildert Nikola Čanigová, PhD-Studentin am IST Austria. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem damit, wie Immunzellen in komplexe Umgebungen, wie unterschiedliche Gewebearten, eindringen und sich darin fortbewegen. „Doch die Menge an Müll die ich produziert habe, war schrecklich – das hat mich wirklich entsetzt.“
Going green
Wie groß das Problem wirklich ist, hat die Initiative Green Labs Austria errechnet. Demnach verbraucht ein einziges Mikrobiologie-Labor etwa so viel Plastik wie 13 österreichische Haushalte zusammen. Das sind rund 1,3 Tonnen Plastikmüll pro Jahr. Das Ziel der Initiative ist es, Forschende über das Problem zu informieren und Forschungsgruppen miteinander zu vernetzen, so dass sie einander helfen können, bessere Lösungen für umweltschädliche Praktiken zu finden. Derzeit sind Labore der Universität Wien, der Medizinischen Universität Graz, der Johannes Kepler Universität Linz und seit kurzem auch des IST Austria Teil des Netzwerks: Die Barton und die Sixt Gruppe, der auch Nikola Čanigová angehört, wollen „grüner“ werden.
„Ich wollte nicht länger auf so umweltverschmutzende Weise forschen, das hat mich motiviert, etwas dagegen zu tun“, schildert die gebürtige Slowakin. Das Nachbarland Österreichs gehört zu jenen Ländern in der Europäischen Union, die am wenigsten Geld in die Forschung investieren – im Jahr 2019 waren es nur 0,83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Österreich investierte im selben Zeitraum rund 3,19 Prozent. „In der Slowakei müssen Labore nachhaltiger mit ihren Ressourcen umgehen, sie haben keine Wahl. An Instituten wie dem IST Austria können wir sehr effizient forschen, das kann aber dazu führen, dass sich die Menschen weniger Gedanken machen.“ Gemeinsam mit Labortechniker_innen und anderen Studierenden will sie deshalb mehr Bewusstsein dafür schaffen, wie ressourcenschonender und umweltfreundlicher geforscht werden kann.
Reduce, Reuse, Recycle
Das Mantra dabei lautet: Reduce, Reuse, Recyle – also reduzieren, wiederverwenden, recyceln. „Wir versuchen überall wo es möglich ist, auf Plastik zu verzichten. Statt zu pipettieren, können Flüssigkeiten manchmal auch in ein anderes Gefäß gegossen werden, wenn man gerade nicht sehr präzise sein muss“, das spare Einwegpipetten, so Čanigová. Es gehe darum, bei jedem Plastikprodukt nachzudenken, ob es wirklich notwendig sei, es zu verwenden oder ob es eine umweltfreundliche Alternative wie wiederverwendbare Glasgefäße gibt. Diese werden am IST Austria von der sogenannten Media and Cleaning Kitchen zur Verfügung gestellt, gewaschen und sterilisiert. Je nach dem, womit zuvor hantiert wurde, könnten manche Plastikgefäße auch im Labor ausgewaschen und wiederverwendet werden.
Schließlich sollten unverzichtbare Einweg-Plastikprodukte recycelt werden. Doch das ist einfacher als gesagt. „Momentan gibt es nur zwei Arten von Plastik, die wir mithilfe des Vereins Helfen statt Wegwerfen recyceln können: Polyethylen und Polypropylen“, erklärt die Biologin. Aus ihnen werden etwa Teile von Spritzen, Pipetten, Deckel von Zellkulturbehältern und Reaktionsgefäße gemacht. Um es ihren Kolleg_innen möglichst einfach zu machen, Plastik zu trennen, haben Čanigová und ihre Mitstreiter_innen begonnen, kleine Mistkübel am Ende jeder Werkbank ihres Labors aufzustellen. Bilder darauf zeigen, was darin entsorgt werden kann. Sind die Mistkübel voll, bringen die engagierten Wissenschafter_innen das Material eigenhändig zu einer größeren Tonne im Nachbargebäude. Dort lagert der Plastikmüll, bis genug Material gesammelt wurde, so dass es von dem gemeinnützigen Verein kostenlos abgeholt und dem Recycling zugeführt werden kann.
Mach den Deckel zu!
Ein weiteres, weniger offensichtliches, dafür umso gravierenderes Umweltproblem der Wissenschaft ist der hohe Energieverbrauch. In ihrer Forschung arbeiten Paul Schanda und Nikola Čanigová mit verschiedensten biologischen Proben, die bei sehr niedrigen Temperaturen gelagert werden müssen. Dafür stehen Gefrierschränke zur Verfügung, die auf minus 80 Grad Celsius eingestellt sind, dabei jedoch so viel Energie wie zwei österreichische Haushalte verbrauchen. Würde man die Temperatur um lediglich zehn Grad erhöhen, könnten 31 Prozent des Energieverbrauchs eingespart werden. Doch was würde das für das sensible biologische Material bedeuten? Die Green Labs Austria Initiative hat diverse Studien konsultiert und den Selbstversuch gewagt, es zeigte sich: Für die Boden- sowie DNA-Proben bis hin zu Enzymen in ihrem Gefrierschrank an der Uni Wien machte die Veränderung keinen Unterschied.
Wie wichtig ein Bewusstsein für das Problem und das Wissen um die teils simplen Lösungen sind, weiß auch Nikola Čanigová aus eigener Erfahrung. Unter speziellen Abzugshauben können die Forschenden mit Substanzen hantieren, die gesundheitsgefährdende Dämpfe absondern. Der Energieverbrauch einer dieser Abzugshauben kommt dem von acht Haushalten gleich. Mit einem einfachen Trick kann er allerdings um 60 Prozent gesenkt werden: „Shut the Sash“ steht auf der Abzugshaube in Čanigovás Labor in Großbuchstaben. Die Hinweis-Stickern erinnern die Wissenschafter_innen daran, den Deckel zu schließen. Andere Geräte, die von vielen verschiedenen Menschen benützt werden, wurden an Zeitschaltuhren angeschlossen, die das Gerät automatisch nach einer gewissen Zeit abschalten. So verhindern sie, dass die Geräte auf dem geteilten Arbeitsplatz unnötig über Nacht oder am Wochenende in Betrieb sind und Strom verbrauchen.
Der Planet überlebt
„Seit wir begonnen haben über das Thema zu diskutieren, haben sich die Dinge in meinem Labor wirklich verändert und die Leute kommen mit neuen Ideen, was wir verbessern könnten“, zeigt sich Čanigová begeistert. Überhaupt sei das Interesse auch in anderen Forschungsgruppen am Campus groß, doch viele technische Details was etwa das Recycling unterschiedlicher Plastikarten anbelangt, müssten noch geklärt werden. In Zukunft wünscht sich die Wissenschafterin, dass bereits bei der Bestellung von Labormaterial besonders auf dessen Umweltverträglichkeit geachtet wird und das Thema einen höheren Stellenwert bekommt. Derzeit engagieren sich die umweltbewussten Wissenschafter_innen und Techniker_innen neben ihrer überaus anspruchsvollen Arbeit in der Spitzenforschung in ihrer Freizeit für das Projekt. „Manche Menschen glauben, es gehe darum, den Planeten zu retten, aber das stimmt nicht“, so Paul Schanda. „Dem Planeten wird es gut gehen, auch wenn wir Umstände schaffen, die unsere Spezies zeitweise auslöschen. Wir selbst haben das Problem.“ In der Wissenschaftscommunity gäbe es bereits gute Ideen, die aber oft nicht im größeren Stil umgesetzt würden, wenn dadurch Mehrkosten entstehen. In einem Wirtschaftssystem, das die Grenzen des Planeten nicht anerkenne und natürliche Ressourcen für kostenlos und unendlich halte, bringen uns wirtschaftliche Argumente jedoch nicht weiter. „Wir tragen eine Verantwortung, uns dafür zu interessieren. Es liegt in unserem eigenen Interesse und in dem der nächsten Generation“, ist Schanda überzeugt.
Weiterführende Informationen:
https://at.scientists4future.org
Gaia Bistulfi (2013): Reduce, reuse and recycle lab waste. Nature. https://doi.org/10.1038/502170a