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10. August 2023

Erkenntnisse am 142er

ISTAs erster Journalist in Residence berichtet über seine Zeit am Campus

Im Zuge des neuen Gastprogramms des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) können sich talentierte Wissenschaftsjournalist:innen intensiv mit den Forscher:innen des Instituts austauschen. Jackson W. Ryan war einer der ersten Gastjournalisten, der mehrere Monate lang tief in die Welt der Spitzenforschung eingetaucht ist. Eine Zeit voller inspirierender Wissenschaftsgeschichten.

Mark Belan (l) und Jackson W. Ryan (r) haben während ihres Gastaufenthalts am ISTA eng mit Spitzenforscher:innen des Instituts zusammengearbeitet. © ISTA

Wenn der ISTA-Shuttlebus mit der Nummer 142 in seine erste und einzige Haltestelle in Klosterneuburg einfährt, schlafe ich normalerweise.  Zumindest aber baumelt mein Kopf hin und her, während ich damit kämpfe, meine Augen auf die Szenerie vor dem Fenster zu richten. Sobald ich das riesige gelbe Huhn sehe, das kurz hinter „Klo’burg“ auf der rechten Seite auftaucht und auf dessen Brust BACKHENDL gekritzelt ist, weiß ich, dass ich einen wichtigen Punkt erreicht habe: Ich bin bald am ISTA und einmal mehr ist mein Kampf gegen den Schlaf gewonnen.

Das Shuttle, dieser grün-weiße Kasten, der Wissenschafter:innen und Forschende von einem Ende der Stadt zum anderen bringt, ist eine der bleibenden Erinnerungen an meine Zeit als erster Wissenschaftsjournalist am ISTA. Es gibt zwei Gründe dafür, dass sie so lange nachwirkt: Natürlich habe ich viel Zeit im Shuttlebus verbracht. Der zweite, wichtigere Grund ist jedoch, dass ich, wann immer ich dem Schlaf entgehen konnte, in Bus Nummer 142 viel Zeit zum Nachdenken hatte.

Und als Wissenschaftsjournalist gibt es gerade eine Menge nachzudenken.

Es ist eine sehr interessante Zeit für digitale Medien und Wissenschaftsjournalismus. Das Vertrauen in Expert:innen – Wissenschafter:innen, Forscher:innen, im Grunde alle, die einen akademischen Abschluss haben – ist ins Wanken geraten. Mancherorts hat es sich sogar ins Gegenteil verkehrt. Auf Twitter und in den Fernsehnachrichten kann man in Echtzeit mitverfolgen, wie sich die vielen verschiedenen Realitäten bilden. Das Multiversum ist kein verwirrendes Science-Fiction-Konzept, das Marvel-Superhelden wiederauferstehen lässt. Es ist die Welt, in der wir leben, vor allem, wenn wir uns online miteinander austauschen.

Begeistert von Wissenschaft erzählen

Es gibt Orte, an denen Verschwörungen wuchern, immun gegen Wahrheit und Fakten. Es gibt Universen, in denen Fehlinformationen den Erdball umkreisen, bevor die Wahrheit überhaupt Zeit hatte, sich die Schuhe anzuziehen. Es gibt immer weniger Orte, Websites und Publikationen, wo die Wahrheit tatsächlich etwas bewirkt. Welches Multiversum letztlich den Sieg davontragen wird, ist schwer zu sagen, vor allem angesichts des Aufstiegs künstlicher Intelligenz, die in Sekundenschnelle selbstbewusst klingende Sätze generieren oder eine Szene um die Mona Lisa malen kann.

Denjenigen, die keine Gelegenheit hatten, mich während meines Aufenthalts kennenzulernen, sei gesagt, dass ich ein großer Befürworter des erzählenden wissenschaftlichen Schreibens in Langform bin. Ich bin ein großer Fan des Geschichtenerzählens als mächtiges Instrument, um Wissenschaft ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und dort zu halten. Ich weiß, dass Wissenschafter:innen Daten lieben – ich war auch mal einer. Ich habe aber auch gesehen, welche Wirkung eine sorgfältig ausgearbeitete Geschichte haben kann. Die Präsentation von beeindruckenden Geschichten und die Bereitstellung von Antworten auf die drängendsten Fragen der Welt kann die Unterstützung für Wissenschaft und Technik ankurbeln. Das klingt kitschig, aber ja … es kann die Welt verändern, verstehen Sie?

Und so habe ich im ISTA-Shuttlebus oft darüber nachgedacht, wie die Geschichten des ISTA die Welt verändern könnten. Was ich in meinen drei Monaten als Wissenschaftsjournalist in Residence gelernt habe, ist, dass es hier zweifellos viele solcher unglaublichen Geschichten gibt. Geschichten, die weit über den Rahmen einer einzigen Studie hinausgehen, die alle paar Jahre in einer renommierten Zeitschrift veröffentlicht wird. Geschichten, die den wissenschaftlichen Prozess, den kollaborativen Geist des Instituts und die Menschen hervorheben, die die Fortschritte machen, die unser Verständnis der Welt neu schreiben.

Der ISTA Shuttle Bus 142 verbindet das Wiener U-Bahn-Netz (ab U4 Heiligenstadt) mit dem ISTA mit nur einer Haltestelle in Klosterneuburg. © ISTA

Skorpionfliegen jagen und Steine umkippen

Gleich zu Beginn bin ich mit Krzysztof Pietrzak zusammengesessen, der mir von seinen Forschungen und Erkenntnissen über Blockchains und „Proof of Space“ erzählte. Christoph Lampert und ich haben bei einer Tasse Kaffee in der Error Bar über die bevorstehende KI-Nicht-Apokalypse diskutiert – ein Gespräch, an das ich noch heute denke und das in den vergangenen Monaten noch an Bedeutung gewonnen hat. Als ich mich mit Lisa Bugnet traf, um etwas über die Magnetfelder im Inneren von Riesensternen zu erfahren, ist mein Gehirn explodiert – nicht nur wegen der unglaublichen Arbeit, die sie geleistet hatte, um sie zu verstehen, sondern auch wegen der vielen Ideen für Geschichten, die das Gespräch hervorgerufen hat.

Dann gab es einen Nachmittag, an dem uns die Sonne auf den Rücken gebrannt hat und ich beobachtete, wie Michaela Hönigsberger und Florian Strahodinsky in einer Wiese am ISTA-Campus Steine umkippten. Mit freudigen Rufen haben sie mir die Larven von Ameisenvölkern gezeigt, die sie mit Plastiklöffeln in Petrischalen verfrachteten.

An einem anderen Tag bin ich mit der Forscherin Clementine Lasne über die Grenzen des Instituts hinaus in die grasbewachsenen Felder gewandert. Wir waren auf der Jagd nach Skorpionfliegen. Mit einem Netz in der Hand hat Clementine den Straßenrand nach einem daumennagelgroßen Insekt abgesucht, von dem ich noch nie zuvor gehört hatte. Erst später erzählte Clem mir von den Zecken, die in meine Kleidung gekrochen sein könnten, was zu einer hektischen Untersuchung jedes Zentimeters meiner Haut führte. Enzephalitis, sagte sie, sei etwas, gegen das ich wahrscheinlich nicht geimpft sei, also müsse ich gründlich sein. Sie hatte recht und jagte mir damit einen gehörigen Schrecken ein.

Die Zeit für gute Wissenschaftsgeschichten ist jetzt

Dies ist nur eine Momentaufnahme der Vielfalt an Geschichten, die innerhalb – und außerhalb – der Mauern des ISTA existieren. Das ISTA hat die Fähigkeit, eine Geschichtenmaschine zu sein. Als junges Institut mit talentierten, enthusiastischen, hart arbeitenden und äußerst fähigen Wissenschafter:innen hat es die Möglichkeit, das wissenschaftliche Geschichtenerzählen nicht nur in Österreich, sondern weltweit neu zu definieren. Für mich gab es nichts Wertvolleres, als Zeit mit den Forschenden in ihren Labors, im Feld, am Schreibtisch oder bei einem Kaffee zu verbringen. Dies ist sowohl ein Dankeschön als auch ein Appell: Wir brauchen mehr davon.

Im Herbst wird das ISTA zum zweiten Mal ein Stipendium für Wissenschaftsjournalismus ausschreiben. Ein neues Gesicht wird im Jahr 2024 am Campus auftauchen. Ich würde die Wissenschafter:innen und Mitarbeitenden des ISTA bitten, den oder die Journalist:in in ihr Labor oder in die Error Bar einzuladen. Zeigt ihm oder ihr die coolen Entdeckungen, die man außerhalb des Institutsgeländes oder unter den Steinen gleich hinter dem Bertalanffy Foundation Building machen kann. Erklärt, wie man KI ethischer gestalten kann, was in Roten Riesen vor sich geht und wie man Blockchain besser machen kann. Erzählt eure Geschichten. Wir brauchen sie genau jetzt.

Als ich am 23. Mai das letzte Mal in den Shuttlebus gestiegen bin, habe ich gerade eine Geschichte über die Magnetorezeption von Walen gelesen, also die Art und Weise, wie sie die Magnetfelder der Erde zur Navigation nutzen. Die Wissenschafter:innen sind sich noch nicht sicher, wie oder warum. Es war fesselnd. Ich war gefesselt. Ich bin dieses Mal am Weg vom ISTA-Campus bis nach Wien nicht eingeschlafen.

Das ist die Kraft einer guten Geschichte. Ich hoffe, dass du deine erzählen wirst!


Jackson W. Ryan war der erste Wissenschaftsjournalist, der am ISTA zu Gast war. Er hat das ISTA von Februar bis Mai 2023 besucht. Sie können Jackson über seine Website kontaktieren und seine Texte hier lesen.



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