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16. Mai 2024

Unter der Oberfläche

Pflanzen nutzen die Erdanziehung, damit ihre Wurzeln richtig wachsen – ISTA-Forschende untersuchen das

Mithilfe der Schwerkraft schlängeln sich Wurzeln durch den Boden und geben Pflanzen damit sowohl Stabilität als auch wichtige Nährstoffe. Anastasia Teplova von der Friml Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) erforscht den Mechanismus hinter diesem Prozess. Anlässlich des Fascination of Plants Day gewährt sie einen Blick in ihr Labor, präsentiert winzige Setzlinge, ein maßgefertigtes Mikroskop und neue wissenschaftliche Erkenntnisse.

Anastasia Teplova Behind Petri Dish
Pflanzen in einer Petrischale. Winzige Acker-Schmalwand-Setzlinge wachsen in Petrischalen. © ISTA

Anastasia Teplova nimmt eine quadratische Petrischale von ihrem Labortisch und hält sie gegen das Licht. In einem nährstoffreichen Medium wachsen winzige Setzlinge der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana; A. thaliana) – eine Art Kresse, die in der Biologie als Modellorganismus genutzt wird – munter vor sich hin. Sie legt die Petrischale wieder ab und greift zu einer anderen. „Schau genau hin“, betont sie. „Diese Setzlinge hier sehen anders aus als die anderen, nicht wahr?“ Ihre feinen Wurzeln, die normalerweise nach unten wachsen, sind in die völlig entgegengesetzte Richtung gerichtet. „Sie sind genetisch verändert. Ihnen fehlen drei Proteine aus der Proteinfamilie NGR (Negative Gravitropic Response of Roots), was dieses Phänomen verursacht“, erklärt Teplova. „Die Pflanze lebt zwar noch, hat aber ihre Fähigkeit verloren, die Schwerkraft zu erkennen.“

Roots Grow Upward
Wurzelchaos. Das Fehlen von NGR-Proteinen führt dazu, dass die Wurzeln nach oben wachsen (rechter Keimling). © Anastasia Teplova/ISTA

Pflanzen sind auf die Anziehungskraft der Erde angewiesen, um ihr Wachstum auszurichten, auf Umweltreize zu reagieren und sich im Boden zu verankern. Der genaue molekulare Mechanismus, der hinter dieser Fähigkeit steht, ist jedoch noch nicht vollständig geklärt. Eine kürzlich in eLife veröffentlichte Arbeit von Teplova, Ivan Kulich, Julia Schmid und Linlin Qi aus der Friml Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) liefert neue Erkenntnisse.

Pflanzen „spüren“ die Schwerkraft

Die grünen Triebe einer Pflanze recken sich der Sonne entgegen und tanken Licht. Vor uns verborgen, offenbart sich aber noch eine ganz andere Welt. Eine Welt, in der sich die Wurzeln lautlos entfalten und sich durch den Boden winden. Aber wie machen sie das?

„Das ist ein ziemlich komplizierter und gut regulierter Prozess, den man als ‚Gravitropismus‘ bezeichnet“, erläutert Teplova. Wurzeln weisen einen positiven Gravitropismus auf und wandern mit der Erdanziehung nach unten. Die Triebe folgen hingegen dem negativen Gravitropismus und wachsen entgegen der Schwerkraft nach oben. Wahrgenommen wird die Schwerkraft in der Wurzel in den Columella-Zellen im vorderen Teil der Wurzel, in der Wurzelspitze, mithilfe von spezialisierten Plastiden (Kompartimenten), den sogenannten „Amyloplasten“.

plants dancing
Tanzende Pflanzen. Entwicklung von Wurzeln und Sprossen. © Friml & Benkova groups/ISTA
Gravitropism Schematic
Schematische Darstellung des Gravitropismus. Aufgrund der Schwerkraft setzen sich Amyloplasten (kleine braune Kreise) an der Unterseite (dünne grüne Striche) der Columella-Zellen (gelb) in der Wurzelspitze ab. Das führt zu einer Neuverteilung von Auxin (rot) und einer Abwärtsbiegung der Wurzel. © Anastasia Teplova/ISTA

„Amyloplasten sind mit Stärke gefüllt und viel schwerer als ihre Umgebung“, so Teplova weiter. In einer waagrecht liegenden Wurzel bedeutet das, dass sie sich aufgrund der Schwerkraft an der Unterseite der Columella-Zellen ablagern. Dies löst eine Reihe von Signalen aus, welche zu einer Ansammlung des Pflanzenhormons Auxin an der Unterseite der Wurzel führen, wodurch sich dann die Wurzel nach unten biegt. Auf diese Weise kann die Wurzel immer weiter in den Erdboden abtauchen, um an Nährstoffe und Wasser zu gelangen.

Der Gravitropismus wurde erstmals 1927 mit dem Cholodny-Went-Modell formuliert. Trotz der im Laufe der Zeit vorgenommenen Änderungen hat sich das Modell weitgehend bewährt. Dennoch sind einige Facetten des molekularen Zusammenspiels nach wie vor nicht klar, beispielsweise, wie die Schwerkraftwahrnehmung mit der Auxinverteilung zusammenhängt. Mit ihrem PhD-Projekt versucht Teplova, mehr über dieses Geheimnis herauszufinden.

Anastasia Teplova
Anastasia Teplova. Die PhD-Studentin befindet sich im dritten Jahr. Sie ist Teil von Jiří Frimls Forschungsgruppe am ISTA und untersucht, wie die Modellpflanze A. thaliana die Schwerkraft wahrnimmt. Wenn die Pflanzenwissenschafterin eine neue Stadt besucht, ist ein Spaziergang durch den botanischen Garten ein Muss. © ISTA

„Das Leben als Pflanzenforscherin sieht jeden Tag anders aus. Es ist nicht nur Laborarbeit, sondern auch viel Literatur-Recherche, Quantifizierung von Daten und viele Stunden am Mikroskop“, erklärt sie. Zum Glück ist der Mikroskopierraum nur einen Katzensprung von ihrem Labor entfernt.

Moleküle in Wurzeln live erleben

Im Mikroskopierraum macht sich Teplova sofort an die Arbeit. Sie blickt durch das Objektiv eines speziell angefertigten Mikroskops und dreht vorsichtig an den Knöpfen, um das Bild einzustellen. Ein Keimling der Acker-Schmalwand ist auf einem Objektträger platziert und Teplova zoomt an seine Wurzel heran.

„Eine Pflanze kann senkrecht in das Mikroskop gesetzt werden und um 360° gedreht werden“, so die Wissenschafterin. „Wir filmen, wie die Keimlinge in der Mikroskopkammer wachsen und wie sie auf die Schwerkraft reagieren.“ Die Forschenden untersuchen vor allem Proteine in den Columella-Zellen, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind. Sie müssen daher zunächst mit einem fluoreszierenden Farbstoff gekennzeichnet werden. In der kürzlich erschienenen Publikation von Teplova und Co. markierten die Wissenschafter:innen beispielsweise NGR, denn der Verlust von NGR Proteinen löst Chaos im Wurzelwachstum aus. Anschließend analysierten sie sorgfältig, wo sich während der Wahrnehmung der Schwerkraft das Protein innerhalb der Zellen befindet.

Anastasia Teplova At Microscope
Wurzeln im Visier. Die Pflanzenbiologin analysiert den komplexen Prozess der Schwerkraftwahrnehmung in A. thaliana mit einem maßgeschneiderten Mikroskop aus der Imaging and Optics Facility am ISTA. © ISTA

„Als wir die Pflanze rotierten, wanderte NGR zusammen mit den Amyloplasten auf die neue Unterseite der Columella-Zellen“, erklärt Teplova. Auch ein anderes Protein namens „D6-Proteinkinase (D6PK)“, das spezielle Proteine aktiviert, die den Auxinstrom erzeugen, folgt demselben Muster. In Acker-Schmalwand-Exemplaren, denen NGR fehlt, verlagert sich D6PK jedoch nicht mehr. Mit anderen Worten: Wenn ein Mechanismus ausfällt, hat das Auswirkungen auf den anderen – was darauf hindeutet, dass beide Mechanismen einander beeinflussen.

Diese Ergebnisse geben Aufschluss darüber, wie Pflanzenwurzeln ihr Wachstum als Reaktion auf die Schwerkraft neu ausrichten. Sie präsentieren ein Bindeglied, das die Sedimentation von Amyloplasten mit der Verteilung von Auxin verbindet. „Es gibt noch viele offene Fragen“, meint Teplova. „Einer der nächsten Schritte wird sein, herauszufinden, wie diese Proteine interagieren.“

Instagram: Fascination of Plants Day

Am ISTA forschen neben der Friml Gruppe auch die Teams von Eva Benkova und Xiaoqi Feng an Pflanzen. Die Themen reichen von hormoneller Signalübertragung über Genetik und sexuelle Fortpflanzung bis hin zu den Anpassungseigenschaften von Pflanzen. Am Fascination of Plants Day2024 dreht sich auf der Instagram-Seite des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) alles um Pflanzen. Den ganzen Tag über werden zahlreiche Forscher:innen spannende Fakten und neue Erkenntnisse präsentieren.

Fascination of Plants Day Poster
Fascination of Plants Day 2024. Schau am 17. Mai bei @ISTAresearch vorbei und lass dich von der Welt der Pflanzen verzaubern. © ISTA/Ivan Kulich

Publikation:

I. Kulich, J. Schmid, A. Teplova, L. Qi & Jiří Friml. 2024. Rapid translocation of NGR proteins driving polarization of PIN-activating D6 protein kinase during root gravitropism. eLife. DOI: 10.7554/eLife.91523

Projektförderung:

Dieses Projekt wurde durch den ERC – European Research Council – im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms „Horizon 2020“ (Grant Agreement Nr. 742985) und den FWF – Österreichischer Wissenschaftsfond – (I3630-775 B25) finanziert.



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